Die erregte Republik
Bild einer Politik, die nicht um die beste Lösung für das Allgemeinwohl ringt, sondern sich nur noch selbstverliebt im immer gleichen Hamsterrad dreht. Eine gelangweilte Grundhaltung ist so zum eigentlichen Kennzeichen des Diskurses geworden, selbst fundamentale Positionswechsel der Medien sind in einer rein personalisiert |139| betriebenen Politikberichterstattung nur noch schwer als Veränderungen der Redaktionspolitik zu erkennen. Das
anything goes
der Redaktionen trägt so letztlich zum Orientierungsverlust der Medien selbst und damit auch des Publikums bei. Für den Journalisten Gerhard Hofmann ist die von den Redaktionen seit einigen Jahren als »neue Unabhängigkeit« titulierte Haltung nichts anderes als »Macht-Opportunismus, journalistische Selbstvergessenheit, publizistische Mittäterschaft oder auch schlicht Anbiederung«. Unter dem legitimatorischen Deckmantel, den alten Gesinnungsjournalismus hinter sich zu lassen, ziehe ganz unverhohlen zynische Beliebigkeit in die Medien ein. »Dass es einen Journalismus geben könnte, der aus Überzeugung gewisse Dinge tut und andere lässt, schreibt oder sagt, scheint den Auflagen-Opportunisten fremd zu sein. Weit weg der Gedanke, dass sie selbst, die sich als die neuen unideologischen verkaufen, viel ideologischer sind als die Gescholtenen.« 104
»Elite ohne Bewusstsein« hat Lutz Hachmeister diese neue Generation von Journalisten und vor allem ihre prominenten Aushängeschilder einmal genannt, als er die vielfältigen Verästelungen und Verbindungen zwischen
Springer
und
Spiegel, F.A.Z.
und
Bild
sowie einzelnen Manager-Journalisten wie Frank Schirrmacher, Stefan Aust, Mathias Döpfner oder Giovanni di Lorenzo durchleuchtete. Hachmeister attestierte diesen Eliten »ein geschärftes Bewusstsein für ihren politischen und sozialen Status und ihre gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten«, die sie bewusst für ihre eigenen Interessen einsetzen. Dabei gehe »es gar nicht einmal um Kumpanei oder enge persönliche Freundschaften, sondern um das Wissen von den Möglichkeiten wechselseitiger Protektion, Auflagensteigerung oder auch um ein selbstbewusst distanziertes Verhältnis zur operativen Politik. Sehr offen, etwa von Hans-Ulrich Jörges |140| oder Gabor Steingart, wird auch der schnelle Loyalitätswechsel im Verhältnis zur Politik und ihren führenden Repräsentanten propagiert, und die politische Klasse, die seit 1945 länger anhaltende Treue oder Gegnerschaft gewohnt war, hat einige Probleme, sich damit zu arrangieren.« 105
Das süße Gift der Deregulierung
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der Neoliberalismus mit seinen Forderungen nach der Umwälzung alles Bestehenden, einem radikalen Rückbau des Staates und dem Einziehen von Eigenverantwortung auf allen Ebenen nach der Jahrtausendwende zur ideologischen Deutungsfolie des Medien-Mainstreams avancierte und zum Signet einer ganzen Epoche wurde. Denn Journalisten leben eben vom ständig Neuen, von der tagtäglichen Inszenierung des Abgrunds – und vielleicht muss dieser Abgrund gerade dann besonders dramatisch ausgemalt werden, wenn die kollektiven Erinnerungen an echte Katastrophen langsam verblassen. Die Ideologie des Marktradikalismus bot eine narrative Struktur, die zu den Erwartungen der vom Klein-Klein der Politik gelangweilten Medien nach Drama, Umwälzung und grundsätzlicher Kritik alles Bestehenden perfekt passte und noch dazu eine lässige Indifferenz ermöglichte. Denn wenn alles revolutioniert werden muss, muss man nicht so genau benennen, womit eigentlich ganz konkret begonnen werden soll. Wie zwei Generationen zuvor bei den 68er-Studenten der Marxismus auf so große Faszination stieß, weil er eben nicht nur eine Weltanschauung war, sondern auch das programmatische Potenzial und gleichsam den strategischen Masterplan bot, die Welt zu verändern, so fand der Neoliberalismus bei seinen Anhängern seit den 1980er-Jahren auch |141| deshalb Anklang, weil er eben beides war: Fundamentalkritik an den bestehenden Verhältnissen und Handlungsanleitung für ihre Überwindung.
Der Marktradikalismus bot den Medien das ideologische Raster, mit dem man jede Regierung der Untätigkeit und Unfähigkeit überführen konnte. Zumindes bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008. Besonders originell war diese Attitüde freilich nicht. Denn zu den Gewissheiten des journalistischen Betriebs gehört seit jeher, dass jede Regierung bei jedem Dissens immer gleich am Scheideweg steht. In
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