Die erregte Republik
1945 viele Jahre lang als Wächter der Demokratie, Anwalt der Bürger und Sachwalter des Gemeinwesens begriffen. Das war ein Fortschritt im Vergleich zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik, wo die Medien Propagandisten von Partei- und Klasseninteressen gewesen waren – von ihrer Rolle als gleichgeschaltete Sprachrohre im Dritten Reich ganz zu schweigen. Heute droht die Gefahr, dass diese demokratischen Errungenschaften durch die umfassende Kampagnenorientierung der Medien, durch ihren politischen Machtanspruch und ihr von eigenen Marktinteressen gesteuertes Befeuern populistischer Stimmungen wieder zunichte gemacht werden. Medien können die Demokratie sichern, aber auch aushöhlen.
In seinem Kern ist Journalismus eine Funktion der kommunikativen Selbstverständigung einer Gesellschaft. 202 In ihm steckt auch heute noch genügend emanzipatorische Kraft, um alternative Sichtweisen in den Diskurs einzuspeisen. Journalistinnen und Journalisten sind Bürgerinnen und Bürger wie alle |233| anderen auch – allerdings obliegt ihnen mit Blick auf die Öffentlichkeit eine besondere Aufgabe, nämlich die, den gesellschaftlichen Diskurs anwaltschaftlich zu betreuen. Dafür brauchen sie kein anderes Mandat als die Akzeptanz ihres Tuns in der Gesellschaft. Und hier sieht es momentan verbesserungsbedürftig aus, auch wenn die innermediale Diskussion Anlass zur Hoffnung gibt.
Der Weg aus dem Ghetto wird dem Journalismus allerdings nicht alleine gelingen. Die Politik von oben und die Bürger von unten müssen dem Journalismus helfen, sich die nötigen Freiräume zu erkämpfen, um sich wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Würde der Journalismus den Ausbruch aus der oberflächlichen Marktlogik der Medien wagen und sich wieder stärker zum Betreuer der gesellschaftlich als wichtig empfundenen Themen machen, würden die Medien versuchen, innerhalb ihrer Strukturen das Ziel kommunikativer Verständigung der Gesellschaft zur Grundlage ihrer Handelns zu machen, könnten auch sie einen Beitrag dazu leisten, dass die Diskursfähigkeit unserer Gesellschaft wieder steigt. Ansätze dazu hat es immer gegeben, Inseln der Qualität, die auch unter schlimmsten Quoten- und Auflagendruck am Ziel gesamtgesellschaftlicher Verständigung festhielten. Der
F.A.Z.
-Herausgeber Frank Schirrmacher hat die mögliche zukünftige Rolle des Qualitätsjournalismus 2007 in seiner optimistischen Dankesrede zum Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache so skizziert: »Jeder, der Augen hat zu sehen, wird erkennen, dass das nächste Jahrzehnt das Jahrzehnt des Qualitätsjournalismus sein wird; er schafft die Bindekräfte einer medial disparaten Gesellschaft. (…) Die, die sich nicht anstecken lassen, die ihre Qualität, also ihre Inhalte, unverändert lassen, werden sein, was diese Gesellschaft dringender benötigt denn je: der geometrische Ort, an dem die Summe des Tages und der Zeit gezogen |234| wird.« 203 Dass es eines solchen Ortes bedarf, steht außer Frage, denn die Bürger sind in der immer komplexer werdenden Welt darauf angewiesen, dass es professionelle Schleusenwärter gibt, welche die Informationsflut stellvertretend für die Leser und Zuschauer sortieren und aufbereiten. Der Soziologe Richard Münch hat diese Funktion des Journalismus einst mit der Rolle einer Notenbank verglichen, die durch Zinspolitik die im Umlauf befindliche Geldmenge steuert: Journalismus könnte zum effizienten Verwalter des knappen Gutes Aufmerksamkeit werden und durch eine präzise, dabei gleichzeitig umfassende und analytisch anspruchsvolle Beschreibung der Zustände der kommunikativen Reizüberflutung entgegenwirken. 204
Dies freilich erfordert Veränderungsbereitschaft in allen Segmenten des Journalismus, den Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen und einen Blick auf die Welt zu werfen, der unverstellt und nicht ausschließlich von Quotendruck und strukturellen Präsentationserfordernissen geleitet ist. Die Journalistin Carolin Emcke hat diesen Perspektivenwechsel in ihrer Eröffnungsrede zur Jahrestagung 2010 des Netzwerks Recherche wundervoll ausgedrückt: »Wenn ich also (…) sagen darf, was für einen Journalismus es braucht für diese Welt, dann würde ich mir folgendes wünschen: Einen Journalismus, der misstrauisch ist und zweifelnd daherkommt, nicht besserwisserisch, sondern fragend, ich würde mir Geschichten wünschen, die ambivalent und offen sind, nicht eindeutig und geschlossen, und ich würde mir Journalisten wünschen, die leidenschaftlich und
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