Die erregte Republik
konstant, wäre Politik im Prinzip überflüssig. Doch wenn Politik der Versuchung erliegt, sich nur noch an der hohen Taktung der Medien und der gesellschaftlichen Eliten zu orientieren, hängt sie die Mehrheit der Menschen ab. Diese Tendenz verstärkt sich, desto mehr die Parteien die Erdung verlieren, sich von ihren Ortsvereins- und Hinterzimmertraditionen lösen und ihre politischen Angebote nur noch auf die schnelllebige mediale Superstruktur ausrichten.
Entscheidend ist deswegen, wie sich das Politische und das Mediale im 21. Jahrhundert zueinander verhalten werden. Ohne Frage bedrängen die Medien mit ihren bunten Bildern, ihren Verflachungen und Personalisierungen die Demokratie. Doch das Politische ist noch da. Es muss nur mühsam unter einer dicken Schicht unnützer Ablagerungen hervorgeholt werden. Dabei ist Pragmatismus angesagt. Bürger, Politiker und Journalisten müssen die übermächtig werdenden Erregungswellen hinter sich lassen und die vorherrschenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Realität durch ein ambivalenteres Bild der Welt ersetzen, weil nun einmal die Welt weitaus ambivalenter und komplexer ist, als Agenturmeldungen oder Präsidiumsbeschlüsse dies nahelegen. Alle am öffentlichen Diskurs Beteiligten müssen sich von der apodiktischen Sicht eines letztlich von Eigeninteressen getriebenen »so ist es« lösen und versuchen, |238| die Welt in ihrer ganzen Kompliziertheit in den Blick zu nehmen.
Das alles hilft nicht nur gegen die Politikverdrossenheit, weil sich die Menschen plötzlich ernst genommen fühlen, sondern es macht auch die Suche nach dem »Wie soll es sein?« viel einfacher. Vor allem aber: Sobald über ein Problem unter Einbeziehung aller breit und offen diskutiert wird, lösen sich die Verhärtungen, entsteht Verständnis für die Position und Situation des jeweils anderen. Der Kommunikationswissenschaftler Carsten Brosda fordert: »Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir grundsätzlich politische Debatten führen wollen. Niemand will die politische Auseinandersetzung in ein akademisches Hauptseminar verwandeln, aber die Frage nach den Rahmenbedingungen des demokratischen Gesprächs lohnt allemal: Wie etablieren wir Demokratie als Gespräch? Welche Voraussetzungen hat dieses Gespräch? Welches Ethos brauchen seine Teilnehmer? Welche institutionellen Voraussetzungen braucht sein guter Verlauf? Und wie entwickeln wir die kommunikative Kompetenz, die ein aktives Publikum braucht?« 207
Vielleicht waren die Ereignisse des letzten Jahres in Stuttgart und anderswo auch Vorboten einer heraufziehenden Diskursrepublik. Das von Heiner Geißler moderierte Schlichtungsverfahren in Stuttgart hatte ohne Frage viele Mängel. Doch zumindest für einen kurzen historischen Moment erbrachte es eine erhebliche Leistung: die Unerbittlichkeit eines medial orchestrierten Meinungsstreits in den Willen zur kommunikativen Verständigung zu transformieren und Politik jenseits der Häppchen und Inszenierungen plötzlich wieder interessant und – trotz oder gerade wegen der enormen Komplexität des Themas – des Engagements wert erscheinen zu lassen. Wichtig für die öffentliche Debatte der Zukunft erscheint, dass |239| alle Beteiligten sich als Diskursteilnehmer verstehen, nicht als Einpeitscher, Durchzieher und Abschießer. Wer sich öffentlich zu Wort meldet, muss sich auch den Geltungsansprüchen seiner Aussagen unterwerfen, muss seinen Willen zur Richtigkeit und auch Wichtigkeit seiner Äußerungen im Zweifelsfalle auch durch seine Taten beweisen. Da Verständigung überhaupt nur möglich ist, wenn wir uns gegenseitig glauben, dass wir es ernst meinen, und den jeweils anderen als Partner akzeptieren, spielt die Tonalität, mit der Politiker, Bürger und Medien aufeinander zugehen, eine herausgehobene Rolle. Alle drei Parteien müssen künftig mehr achtgeben auf die Verletzungen, die sie sich in der Auseinandersetzung zufügen. Der amerikanische Präsiden Barack Obama hat am 13. Januar 2011 bei der Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs von Tuscon einen bemerkenswerten Satz gesagt: »In Zeiten eines sehr polarisierten Diskurses sollten wir wieder in einer Art und Weise miteinander reden, die heilt und nicht verletzt. Ich bin überzeugt, wir können es besser.« 208
|241| Dank
Wie eigentlich immer in meinem Leben habe ich auch bei der Abfassung dieses Manuskripts auf die Hilfe zahlreicher Freunde vertraut und mich von ihren Urteilen leiten lassen. Mein Dank für ihre
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