Die erregte Republik
gegenseitig überformen und manchmal wie miteinander verschmolzene Lavaströme wirken. Sie bleiben aber in ihren zentralen Funktionszuweisungen – Probleme zu lösen im Fall der Politik, Diskurse zu moderieren im Fall der Medien – doch für sich distinkt und klar geschieden. Dies deutet darauf hin, dass es nach wie vor einen zwar beschädigten, aber doch noch funktionsfähigen Kern der politischen Öffentlichkeit und auch einen zur Vernunft befähigten Journalismus gibt.
Deliberative Demokratie
Um diesen Kern zur Geltung zu bringen, braucht Öffentlichkeit einen gesellschaftlichen Ort, der als nicht vermachtetes Forum des öffentlichen Austauschs über die alle gemeinsam betreffenden |228| Belange dienen kann. Der Philosoph Jürgen Habermas hat die Eröffnung solcher neuer Diskursräume schon vor vielen Jahren als deliberative Demokratie bezeichnet und zum Zentrum seiner Theorie demokratischer Öffentlichkeit gemacht. »Deliberare« bedeutet so viel wie »mit sich und anderen zu Rate gehen« und verweist auf die gemeinsame Willensbildung unter freien Bürgern. Die politischen Institutionen der repräsentativen Demokratie arbeiten nach Habermas’ Vorstellung nur dann im Sinne des Gemeinwohls, wenn den Parteien und Parlamenten eine demokratische Öffentlichkeit der Bürger vorgelagert ist, in der durch das Miteinander-Reden und das Abwägen der Argumente ein Gemeinsinn hergestellt wird, der durch seine Umfassendheit und Unvoreingenommenheit einen Geltungsanspruch und somit kommunikative Macht entfaltet, die erst in einem zweiten Schritt in die legislative und administrative Macht der Parlamente und des Staates umgemünzt wird. Es geht bei der deliberativen Demokratie also um die Aufhebung des Schismas von gesellschaftlichem Raisonnement und staatlichem Handeln. Denn Demokratie funktioniert in Habermas’ Konzeption nur dort, wo über das Politische als das alle gemeinsam Betreffende mit der Absicht gesprochen wird, das Reden auch in gemeinschaftliches Handeln umzusetzen. Und Gemeinschaftlichkeit wird eben über kommunikative Verständigung hergestellt. Hierfür wird die Unterstützung der Medien als Diskursmoderatoren benötigt, doch sie allein sind schon deswegen keine hinreichende Bedingung für eine neue Gemeinsamkeit, da sie den Leser oder Zuschauer immer nur als Einzelperson adressieren und isoliert erreichen, also nicht zur Vergemeinschaftung beitragen und so auch kein gemeinschaftliches Handeln ermöglichen. Gebraucht werden deswegen auch Zonen des Austauschs, in denen die Bürger unmittelbar miteinander reden und ihre Interessen kommunikativ in Ausgleich |229| bringen. »Wir leben in pluralistischen Gesellschaften«, stellt Habermas fest. »Das demokratische Entscheidungsverfahren kann über tiefe weltanschauliche Gegensätze hinweg nur solange eine legitimierende, alle Bürger überzeugende Bindungskraft entfalten, wie es der Kombination aus zwei Forderungen genügt. Es muss Inklusion, also die gleichberechtigte Beteiligung aller Bürger, mit der Bedingung eines mehr oder weniger diskursiv ausgetragenen Meinungsstreites verbinden. Denn erst deliberative Auseinandersetzungen begründen die Vermutung, dass das demokratische Verfahren auf lange Sicht mehr oder weniger vernünftige Ergebnisse ermöglicht. Die demokratische Meinungsbildung hat eine epistemische Dimension, weil es dabei auch um die Kritik falscher Behauptungen und Bewertungen geht. Daran ist eine diskursiv vitale Öffentlichkeit beteiligt. Das kann man sich intuitiv an dem Unterschied klarmachen, der zwischen konkurrierenden ›öffentlichen Meinungen‹ und der Veröffentlichung demoskopisch erfasster Meinungsverteilungen besteht. Die öffentlichen, durch Diskussion und Polemik erzeugten Meinungen sind bei aller Dissonanz bereits durch einschlägige Informationen und Gründe gefiltert, während die Demoskopie gewissermaßen latente Meinungen in ihrem Roh- und Ruhezustand nur abruft. Natürlich erlauben die wilden Kommunikationsflüsse einer von Massenmedien beherrschten Öffentlichkeit nicht die Art von geregelten Diskussionen oder gar Beratungen, wie sie in Gerichten oder parlamentarischen Ausschüssen stattfinden. Das ist auch nicht nötig, weil die politische Öffentlichkeit nur ein Verbindungsglied darstellt. Sie vermittelt zwischen den institutionalisierten Diskursen und Verhandlungen in staatlichen Arenen auf der einen Seite, den episodischen und informellen Alltagsgesprächen potentieller Wähler auf der anderen Seite. Die
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