Die erregte Republik
scheinbar alles beherrschende Medienlogik schon den Keim zu ihrer Überwindung in sich trägt: »Sogar das Fernsehen kann dabei helfen, das viel vom klassischen Geschäft der Politik übernimmt. Es schafft auch wieder den Resonanzboden für Kontroversen, für kleine Gegenöffentlichkeiten, die sich – und sei es im Internet – rapide und weltweit verbreiten können. Und in dem Sinne provoziert es geradezu auch eine differenzierte Wortewelt, die auf Nuancen und Differenzen, auf Begründungen und Alternativen Wert legt, also einen streitbaren Journalismus, der sich, Inseln im flirrenden Einerlei, als ›politische Öffentlichkeit‹ behauptet.« 198 Am wichtigsten aber ist: Die scheinbar unaufhaltsame Medialisierung findet dort ihre Grenzen, wo es richtig ernst wird. Tief in ihrem Innern wissen die Menschen, dass die Politik auch in einer entgrenzten und globalisierten Welt noch Verantwortung trägt und weiter unsere Zukunft bestimmt. Wenn es wirklich darauf ankommt – bei großen Wirtschaftskrisen, Terrorgefahr oder Epidemien –, wollen die Bürger ihre Politiker am Schreibtisch, im Flugzeug oder in der Kabinettssitzung sehen, keinesfalls aber schwadronierend in der Talkshow oder liebestoll in der Homestory. Eine ganze Reihe deutscher Politiker hat diese Erfahrung in den vergangenen Jahren gemacht. Rudolf Scharpings im Jahr 2001 kunstvoll inszeniertes Planschen im Swimmingpool wirkte auch deshalb so deplatziert, weil die von ihm befehligte Bundeswehr zu dieser |226| Zeit auf dem Balkan in einem schwierigen Auslandseinsatz stand. Dies zeigt: Die beabsichtigten Wirkungen von Inszenierungen können sich nicht nur ins Gegenteil verkehren, Inszenierungen nutzen sich auch ab, werden langweilig und führen zum Überdruss. Der SPD-Vordenker Matthias Machnig prognostizierte schon zur Jahrtausendwende, dass der Wunsch der Menschen nach Authentizität umso größer werde, je gestylter und künstlicher die politische Welt um sie herum sich geriere.
Als Tony Blair, der Großmeister des politischen Spins, im Mai 2007 als britischer Premierminister zurücktrat, schrieb die
Süddeutsche Zeitung
: »Tony Blair ist nicht nur der letzte amtierende Protagonist des Dritten Weges. Mit ihm wird auch jener ganz spezifische, manchmal fast halbweltliche Glamour aus der Politik verschwinden, den Clintons Zigarren, Schröders Prol-Kumpeligkeit und Blairs Pop-Existenz symbolisiert haben. Es war dies eine Gruppe von Politikern, die sich manchmal
outrageous
und oft polarisierend benahmen, die ebenso in der politischen Wochenpresse wie in den Klatschblättern zu Hause waren.« 199 Heute ist Tony Blair, der 1997 mit einer kunstvoll inszenierten »Cool Britannia«-Kampagne und mit enthusiastischer Unterstützung der traditionell besonders aggressiven britischen Boulevardpresse die Downing Street 10 eroberte und jahrelang als charismatischster Regierungschef Europas galt, eine der unbeliebtesten Personen in Großbritannien. Und das ist nicht nur auf seine kriegstreiberische Haltung im Irakkrieg zurückzuführen, sondern auch auf den allgemeinen Überdruss, den sein durch und durch auf Inszenierung bedachter und von Kontrollwahn durchzogener Regierungsstil im Lauf der Jahre bei den eigentlich geduldigen Briten erzeugte.
Es gibt ganz offensichtlich nach wie vor so etwas wie eine kommunikative Rationalität, eine dem Volk innewohnende politische Vernunft, die sich auch durch den Dauerkonsum minderwertiger |227| Medienangebote nicht ausrotten lässt. Trotz aller Unterhaltungsfixierung: Unterm Strich wollen die Bürger bei der Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten offenbar lieber Sinn statt Spin. Zu fragen ist, ob wir nicht bereits heute einen Wendepunkt erreicht haben, an dem die Inszenierung des Politischen endlich wird – zumindest dann, wenn sie allzu offensichtlich im Widerspruch zur Realität steht. Folgt man Gunter Hofmann, gibt es bemerkenswerte Hinweise in diese Richtung: »Das Publikum, auf das die Akteure schielen, entscheidet souverän, ob es die Politiker trotz ihrer Inszenierungen wählt oder abwählt, nicht wegen ihres Talents zur Symbolpolitik. (…) Die Mediendemokratie ist da, nun lasst uns wieder zur Sache kommen.« 200 Die Medialisierung der Politik hat also dort Grenzen, wo die Bürger selbst erkennen, dass sie das Politische brauchen. Umgekehrt gilt, dass auch die Politisierung der Medien endlich ist, weil diese in der Demokratie ebenfalls gebraucht werden. Die gesellschaftlichen Teilsysteme Politik und Medien mögen sich
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