Die erregte Republik
Großprojekten ganz verzichten würde. Denn die Politik simuliert zur Erhöhung ihrer Legitimation eine Form direktdemokratischer Einbindung, die sie bei ihren Entscheidungen weder einlösen kann noch wirklich einlösen möchte. Für die Akzeptanz demokratischer Politik ist dies eine schwere Belastung, denn es kommt zur Entkoppelung zwischen öffentlichem Diskurs und arkaner Herrschaftsausübung. Eben dadurch, dass der Diskurs für die Entscheidungsfindung keinerlei Verbindlichkeit hat, beginnt er sich den Realitäten zu entheben. Die Emotionen dürfen dann ruhig hochkochen, der |223| Volkszorn schäumen – die Politik richtet es danach im stillen Kämmerlein. Auf der öffentlichen Bühne dagegen darf sich die erregte Republik von lästiger Verantwortung befreit ganz ihren Gefühlszuständen hingeben.
Der Wert der repräsentativen Demokratie
Da dieser Weg ganz eindeutig in die Sackgasse führt, müssen wir Alternativen suchen. Die erfolgsversprechendste besteht darin, die Legitimationskrise der parlamentarischen Demokratie zu überwinden und den Wert des repräsentativen Systems wieder ins Bewusstsein zu rufen. Denn die indirekte Demokratie, die über einen langen Zeitraum das zentrale Erfolgsprinzip der zweiten deutschen Republik war, revitalisiert sich nicht durch die Selbstabdankung der Politik und die Machtrückgabe an die Wähler. Thomas Schmid urteilt in der
Welt
: »Es wäre falsch, darauf zu setzen, man könne den Souverän auf Trab und zur Zustimmung bringen, indem man ihm eine Karotte namens direkte Demokratie vor die Nase hält. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, die direktere Demokratie wäre die bessere Demokratie. Und es ist in hohem Maße beunruhigend, dass selbst unter dem Fachpersonal für Politik – nennen wir es hier einmal die politische Klasse – diese grundlegende Einsicht offensichtlich nicht fest verankert ist. Erst der Umstand, dass sie nicht direkt, sondern repräsentativ ist, macht unsere Demokratie zu einem Juwel. Ihre Repräsentativität ist kein Mangel, für den man sich schämen müsste, sondern ein großer Vorzug.« 196 Tatsächlich wird erst durch die vielfältigen Vermittlungs- und Häutungsprozesse, die zwischen der spontanen, medial beeinflussten Willensbildung des Volkes und den politischen Entscheidungen in Parlamenten liegen, der unmittelbare Wille des Volkes – |224| sofern man von diesem angesichts der Heterogenität der Meinungen und Einstellungen überhaupt sprechen kann – in praktikable, vielfältig austarierte politische Aktionsprogramme übersetzt, werden Interessen in einem 80-Millionen-Land überhaupt erst handhabbar. Thomas Schmid schreibt weiter: »Die ganze Kunst des Politischen ist eine Kunst des Repräsentativen. Der ursprüngliche Volkswille kennt nur Himmel und Hölle, Schwarz und Weiß, Ja oder Nein. Vermittlung ist da nicht vorgesehen, Kompromiss und Ausgleich sind auch nicht angelegt. Der direkteste Demokrat ist der, der sich holt, wonach ihm der Sinn steht.« 197 Möglich wäre so nur noch eine binäre Ja/Nein-Demokratie, die die Komplexität des Politischen hoffnungslos unterfordern würde und leicht zur Diktatur einer engagierten Minderheit verkommen könnte. Richtig praktizierte repräsentative Demokratie dagegen bedeutet kluge, auf Vertrauen begründete Delegation von Macht auf Zeit in der begründeten Annahme, dass die komplizierten Aushandlungswege der Politik am Ende Ergebnisse zeitigen, die für die Mehrheit der Menschen positive Effekte haben und so den Zusammenhalt dauerhaft sichern. Dieses Prinzip zu verteidigen, ist eine lohnenswerte Aufgabe.
Grenzen der Medialisierung
Deswegen lautet die eigentliche Frage für die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie, wie wir wieder zu einer Diskursordnung kommen, die einen entschiedenen Gegenpunkt zur mäandernden Stimmungsdemokratie setzt, das allgemeine Anspruchs- und Servicedenken hinterfragt und ernsthafte Versuche zur Rehabilitierung des Politischen unternimmt. Erste Gegenbewegungen zur alles überlagernden Erregung sind bereits |225| zu erkennen. Eine besteht in der Umgehung der Medien durch die Politik. Diese versucht schon seit längerem, an den Medien vorbei wieder direkte Kommunikation zu ihren Wählern aufzubauen. Gerhard Schröders »Glaubt denen nicht« und Angela Merkels wöchentliches Videopodcast sind hier nur zwei unterschiedliche Ausprägungen derselben Strategie. Doch auch innerhalb des Mediensystems sind Veränderungen zu erkennen. Gunter Hofmann hat beobachtet, dass die heute
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