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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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Ist das ein Gerstenkorn.
    Hat er mir also doch heimlich in die Augen geschaut.
    Ja.
    Er rollt mit seinem Stuhl zum Waschbecken und wäscht sich die Hände. Mit einem Antibiotikum ist das ein Klacks.
    Zu einem Antibiotikum würde ich nicht Nein sagen, wenn Sie mir eins verschreiben würden.
    Ich bin Zahnarzt. Und kein Augenarzt.
    Na und.
    Das wäre unethisch.
    Ach.
    Ich kann dir höchstens raten, die Finger davon zu lassen. Und drück nicht daran herum.
    Ich habe aber schon daran herumgedrückt. Ich drücke gern daran herum.
    Gerstenkörner gehen oft mit Depressionen einher, sagt er. Bist du deprimiert. Fühlst du dich manchmal wie erschlagen.
    Mein Dad ist von einem Weihnachtsbaum erschlagen worden.
    Er wendet den Kopf.
     
    E in Maschendrahtzaun hält die GOLEM gefangen. Falls sie sich heimlich aus dem Staub machen will, bevor sie abgerissen werden kann. Sie sieht aus, als hätte man ihr die Augen verbunden und sie geschlagen. Sie sieht klein aus. Jenseits des Zauns fletschen Neubauten die Zähne. Du bist die Nächste, höhnen sie. Du bist die Nächste.
    An den Wänden der Schule steht GANGSTA LIFE, in Großbuchstaben. Ein paar selbsternannte Gangster, die es vermutlich nicht ganz leicht haben im Leben, sind mit Sprühfarbe über den Zaun geklettert.
    Mein Auge tränt.
    Stämmig steht Judd neben mir. Wir halten uns am Zaun fest und verschränken die Ellenbogen gegen den Wind, der uns ein Maschendrahtmuster ins Gesicht beizen möchte. Die einzigen Farbtupfer sind Judds rote Haare. Und sein Van. Und die Synkopen der Warnblinkanlage.
    He. Jesus steckt noch immer wie ein Korkenzieher im Dach.
    Seit wann ist die Schule eigentlich keine katholische mehr. Darauf wurde früher so viel Wert gelegt.
    Judd und ich schwelgen in gemeinsamen Erinnerungen an unsere GOLEM-Zeit. Wir erinnern uns an die Cafeteria im Heizungskeller. (Er zeigt mir seine Narbe, die von der schmerzhaften Begegnung mit einem Rohr herrührt.) Wir erinnern uns an Direktor Pouvoir, der in Wirklichkeit Dave Power hieß. Wir erinnern uns an Miss Daken und ihre Mathe-Biografien. Wir erinnern uns an das Lied »Gott ist ein Wunder!« (Wunder o Wunder! Gott ist ein Wunder! Er zeigt sich in allen Dingen! Drum woll’n wir ihm ein Loblied singen!)
    Und an den roten Fallschirm.
    Ach ja, der rote Fallschirm. Der rote Fallschirm war das Größte. Wie er sich bauschte und die gesamte Turnhalle ausfüllte. Und wie man sich darunterstellen und sich einbilden konnte, die rote Decke nehme und nehme kein Ende. Judd sagt, er habe einmal versucht, ihn zu stehlen. Leider habe man ihn auf frischer Tat ertappt. Er habe damit auf den Signal Hill steigen und ihn fliegen lassen wollen.
    Heiliger. Er hätte dich aufs offene Meer hinausgetragen.
    Und da wäre ich wohl heute noch.
    Ich sehe ihn von der Seite an. Weihnachten steht vor der Tür. Ob er denn keine Verpflichtungen habe.
    Meine Familie ist in Florida, sagt er.
    Sie haben dich über Weihnachten alleingelassen.
    Wir feiern kein Weihnachten, sagt er.
    Wieso.
    Wir sind Juden.
    Seit wann.
    Immer schon.
    Und trotzdem warst du auf der GOLEM.
    Du doch auch.
    Ich dachte, ich wäre die einzige Nicht-Katholikin.
    Nö.
    Eigentlich bin ich Atheistin, sage ich. Eine Atheistin mit Französisch-Crashkurs.
    Ich auch. Ein atheistischer Jude mit Französisch-Crashkurs.
    Und mit einer Firma namens Christmatech. Interessant.
    Er lächelt. Stimmt.
     
    Das Möbelhaus, das den einen magisch und wundersam vorkommen mag, ist für andere die Hölle auf Erden. Insbesondere wenn diese anderen Oberlicht nicht ausstehen können. Und Judd kann Oberlicht auf den Tod nicht ausstehen. Ja, es sind lauter verschiedene Zimmer unter einem Dach, aber das Licht ist in allen Zimmern gleich.
    Stellen Sie sich vor, Sie leben unter einem Dach mit vielen Einzelzimmern, wo es ständig zwölf Uhr mittags ist und alle naselang jemand zur Tür hereinspaziert kommt, den Sie am liebsten niederschießen würden, was selbstverständlich streng verboten ist. Ebenso verboten wie das Essen von den ausgestellten Möbeln.
    Judd hat schon früh eine Vorliebe für die Dunkelheit, für Schokolade, für Verkehrsampeln entwickelt.
    Er weiß noch, wie er eines Tages im Auto saß, genüsslich ein Milky Way verdrückte und sich am Grün der Ampel erfreute. Und am Rot. Das Gelb war zu schwach, es hatte zu wenig Pixel. Und noch während er dasaß, erfand er eine neue Ampel, die das gesamte Farbspektrum umfasste. Ein Rot, das sich erst lila, dann blau und schließlich grün verfärbte. Damit

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