Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
müssen.
Sein altes Leben war vorbei. Er würde nie wieder Gepäck abfertigen. Seine Kollegen kamen ihn besuchen, brachten ihm Geschenke mit – vorwiegend Fundstücke aus Flugzeugen – und erzählten ihm lustige Geschichten von Flugkatastrophen, um ihn aufzumuntern. Sie zeigten sich besorgt über seine Zukunft. Was er denn jetzt anfangen wolle, als einarmiger Gepäckabfertiger, der kein Gepäck mehr abfertigen könne.
Da die Fluggesellschaft sich weigerte, für den Schaden aufzukommen, boten sie ihm an, mittels eines Kuchenbasars oder dergleichen Geld zu sammeln, damit er sich eine moderne Armprothese leisten könne.
Onkel Thoby ließ sich die Sache durch den Kopf gehen und sagte: Vielen Dank, aber die Vorstellung, mit einem nachgemachten Arm an der Schulter herumlaufen zu müssen, behage ihm gar nicht.
Was.
Er wollte nicht mit einem Arm herumlaufen, der sich als sein eigener ausgab, obwohl ein Fremder ihn erfunden hatte.
Ach so.
Ich hätte vielleicht erwähnen sollen, dass Onkel Thobys Arm hier oben abgeschnitten wurde. (Mein Dad macht eine sägende Bewegung über seinem linken Ellenbogen.)
Autsch. Ja, hättest du.
Also. Onkel Thoby beschloss, sich seine eigene Armprothese zu bauen. Er hatte gehört, es gebe spezielle Ausbildungszentren, wo Amputierte so etwas lernen konnten. Wer solch ein Zentrum besuchte, musste natürlich mit einer provisorischen Prothese vorliebnehmen, bis seine eigene fertig war. Schließlich kann man mit einer Hand schwerlich eine neue anfertigen. Dazu braucht man schon zwei. Und selbst mit beiden Händen ist es nicht ganz einfach. Von heute auf morgen geht das nicht.
Aber wenn ein Amputierter solch ein Zentrum Monate, manchmal sogar erst Jahre später wieder verlässt, darf er ein selbstgebautes Ersatzkörperteil sein Eigen nennen. Und das ist schon etwas ganz Besonderes.
Und so taten sich die Gepäckabfertiger mit den Flugzeugmechanikern und dem Putztrupp zusammen und sammelten eifrig Geld, damit Onkel Thoby das Bein- und Arm-Rekonstruktions-Centrum in jenem pittoresken Piratenstädtchen besuchen konnte, das durch die Operette weltbekannt geworden ist: Penzance.
Penzance lag wunderschön am Meer. Mit Onkel Thobys Arm ging es nur langsam voran. Wie sollte es auch anders sein. Stell dir vor, du müsstest dir einen eigenen Arm bauen, und das von Grund auf, mit einer Hand, die dir gehört, und einer zweiten, die nicht dir gehört und zu allem Übel dumm und gefühllos ist, eher ein Stück Holz mit einer Pinzette untendran als ein echter Arm mit einer echten Hand. Und der Arm, den du dir mit diesem mangelhaften Werkzeug mühsam zu bauen versuchst, muss nicht nur aussehen wie das Original, sondern auch noch so konstruiert sein, dass sich damit sämtliche Bewegungen des Originals ausführen lassen. Und er muss eine konstante Körpertemperatur von 37 Grad Celsius aufweisen. Undsoweiter. Undsofort. Bei dem bloßen Gedanken wird einem schwindlig.
Kein Wunder, dass manche Centrumsbewohner frustriert aufgaben. So auch Onkel Thoby. Er schloss sich einer Gruppe zwielichtiger Einheimischer an, die allesamt des einen oder anderen Körperteils verlustig gegangen waren und diesen Umstand ausgiebig zu feiern pflegten. Nachdem er es sich in Penzance eine Weile hatte wohlergehen lassen, kehrte Onkel Thoby nach London zurück und sagte allen, allen voran sich selbst, dass er mit seiner einarmigen Existenz im Grunde recht zufrieden sei.
Seine Freunde vom Flughafen waren stocksauer. Hatten Sie nicht extra Kuchen gebacken und den Inhalt tausender herrenloser Koffer versteigert, damit Onkel Thoby das BARC besuchen und sich wieder zu den Zweiarmigen zählen konnte.
Onkel Thoby entschuldigte sich und ließ beschämt den Kopf hängen. Er habe es einfach nicht fertig gebracht, sich einen Arm zu bauen. Ihm fehlten die technischen Fähigkeiten.
Aber der Besuch des BARC diene doch einzig und allein dem Zweck, diese Fähigkeiten zu erwerben.
Schon. Aber. Ihm fehle einfach die Geduld. Es sei hoffnungslos.
Unsinn, sagte seine beste Freundin, eine Flugzeugreinigerin. Sie setzte ihn in ihren Wagen, schnallte ihn an (denn sie wusste, dass er bisweilen dazu neigte, aus fahrenden Autos zu fallen) und chauffierte ihn höchstpersönlich nach Penzance zurück. Er dürfe nicht aufgeben, sagte sie.
Sie saßen zusammen auf der Terrasse des BARC, und er zeigte ihr, wie weit sein zukünftiger Arm gediehen war. Mehr als das Gehäuse hatte er nicht vorzuweisen. Es war nicht verdrahtet. Aber es war hautfarben, und die
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