Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
seinen neuen Arm. Jetzt hat er Sommersprossen.
Statt mich mit Jim Ryans Biografie zu befassen, befasse ich mich mit meinen Armen. Ich zeichne eine Karte meiner Sommersprossen in ein Schulheft, für alle Fälle. Die Abstände vermesse ich mit einem Lineal. Als mein Dad das sieht, sagt er: Um die genauen Werte zu ermitteln, brauchst du einen Winkelmesser. Er zeigt mir, wie man mit einem Winkelmesser umgeht.
Bleib mir mit deinem blöden Messer vom Leib, sage ich.
Ich verbinde die Punkte an meinem Arm mit blauem Filzstift. Dreiecke. Der Buchstabe W, immer und immer wieder. Dann übertrage ich das Ganze in mein Heft. Die Sommersprossen unterhalb der Schulter zu kartografieren, ist ein Klacks, aber auf den Schultern geht es gar nicht, denn da habe ich Millionen Sommersprossen. Das ist ein bisschen so, als würde man vier oder fünf Sterne am Himmel sehen, und dann macht man das Verandalicht aus, und zack, kommen hinter den Sternen, die man zuvor gesehen hat, Millionen andere zum Vorschein.
Als Jim Ryan seine Terrasse mit einem Holzschutzmittel strich, das bekanntermaßen Krebs verursacht, war das der Nagel zum Sarg seiner Biografie. Mein Dad ging hinaus, und prompt kam es zum Streit. Pardon, zum Tête-à-tête. Mein Dad ging nach draußen und warnte Jim Ryan vor den Gefahren der fraglichen Substanz, außerdem wehten die Dämpfe zu uns herüber, und das gefalle ihm ganz und gar nicht. Jim Ryan fuchtelte mit seinem Pinsel und sagte, mein Dad solle sich nicht so anstellen. Mein Dad zitierte diverse Studien. Jim Ryan warf ihm ein Schimpfwort an den Kopf. Leider habe ich es nicht gehört, sonst würde ich es Ihnen garantiert nicht vorenthalten. Aber mein Dad kam ins Haus und sagte, Jim Ryan habe ihn beschimpft.
Jetzt reicht’s. Ich knallte meinen Filzstift auf den Tisch. Jim Ryans Biografie ist gestorben. Regel Nummer Eins für Biografien: Leg dich nie mit dem Vater des Biografen an.
Gute Regel, sagte mein Dad.
Und Regel Nummer Zwei, für die Väter von Biografen: Mische dich nie ein, wenn dein Kind eine Biografie schreibt.
Habe ich das denn getan, fragte mein Dad.
Mein Dad klopft an meine Tür und sagt: Entschuldige die Störung.
Ich lege mein Audreys-Arme-Heft beiseite.
Wie läuft’s, fragt er.
Gut, gut. Kann ich dir irgendwie behilflich sein.
Es macht Spaß, so zu reden, wenn man an einem Schreibtisch sitzt. Probieren Sie’s aus.
Mein Dad setzt sich auf den kleinen Sitzwürfel. Er ist zu groß dafür, und seine Knie berühren fast die Brust.
Ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen, sagt er und spielt mein Spielchen mit.
Bitte, sage ich. Soll heißen: Teile es mir mit.
Onkel Thoby kommt uns besuchen.
Ich gerate völlig aus dem Häuschen. Freude. Ich empfinde nichts als Freude. Es ist, als ob ein berühmter Star die Stadt besuchen würde. Als ob man samstags Post bekäme.
Ich springe auf, lege die Hände auf die Knie von meinem Dad und vollführe ein kleines Tänzchen.
Was machst du denn, du Armleuchter, sagt er. Das ist sein neues Lieblingswort. Er wackelt unbeholfen mit den Knien, was bei ihm schon fast als Tanzen durchgeht.
Es freut mich, dass du dich freust, sagt er nach einer Weile. Wie es aussieht, bleibt er nämlich etwas länger.
Ich notiere mir eine Reihe von Fragen zu Onkel Thoby, und beim Frühstück steht mein Dad mir Rede und Antwort. Interviews werden normalerweise nicht am Frühstückstisch geführt. In dieser Hinsicht sind sie wie Träume und Biografien. Ich: Ich hätte da noch ein paar Fragen. Bist du bereit. Los geht’s. Wo soll er schlafen.
Dad: Wer.
Ich: Onkel Thoby.
Dad: Ach so. Im Gästezimmer. Vorerst.
Ich: Würdest du mir freundlicherweise erklären, was du mit »vorerst« meinst.
Dad: Ich meine, dass wir, falls Onkel Thoby länger bleibt, den Keller eventuell zu einer Wohnung umbauen.
Ich: Würdest du mir freundlicherweise erklären, wen du mit »wir« meinst.
Dad: Nein. Was schreibst du denn da.
Ich: Deine Antworten auf.
Dad: Für mich sieht das wie bloßes Gekrakel aus.
Ich: Das ist ja auch eine Geheimschrift.
Dad: Bist du unter die Journalisten gegangen.
Ich: Vielleicht. Mal sehen.
Dad: Mal sehen. Ich dachte, du wolltest Biografin werden.
Ich: Diese Karriere hast du ja erfolgreich ruiniert.
Dad: Ach, Audrey. Ich habe eine Biografie ruiniert. Und für das Trara mit Jim Ryan habe ich mich entschuldigt.
Ich: Trari-trara-trarulalla. Sehr witzig. Haha. Alte Trulla. Ja. Kann man den Arm abnehmen.
Dad: Was. Haben wir das nicht bereits ausführlich
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