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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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einen für Eis- und Fettbrände. Einen für Vorhänge. Und einen für Zimmerpflanzen (Weihnachtsbäume, Hecken).
    Eisbrände, sagte mein Dad beim Lesen der Gebrauchsanweisung. Soll das ein Witz sein.
    Wenn man Speiseeis frittiert.
    Was wir ja bekanntlich regelmäßig tun.
    Wenn man Speiseeis frittiert, passiert es in neun von zehn Fällen.
    Was.
    Das Haus brennt ab.
    Wenn ich nicht ins Bett gehen wollte, tat mein Dad, als suche er den Oddly-Löscher. Wo steckt das Ding bloß. Ich will dich löschen. Dann hat die liebe Seele Ruh. Und zwar sofort.
    Gleich.
    Sofort.
    Gleich.
    Onkel Thoby führte auch Übungen durch. Manchmal ging mitten in der Nacht sein »Mundharmonikaalarm« los. Ich brauchte mich nur um mich selbst zu kümmern. Und das hieß raus aus dem Haus, und zwar dalli. Mein Dad kümmerte sich um Wegde. Und Onkel Thoby blies die Mundharmonika. Erst wenn alle wohlbehalten auf dem Rasen vor dem Haus standen, holte er Luft. Ob Jim Ryan sich an diese Übungen erinnert. Wissen Sie noch, wie wir alle mitten in der Nacht in unserem Vorgarten standen und Onkel Thobys Mundharmonika plärrte wie eine Sirene.
    O ja, sagt er. Gott, ja.
     
    Mrs. Ryan kommt mit Plastiktüten bepackt nach Hause und will wissen, warum wir im Dunkeln sitzen.
    Audreys Türknauf ist abgegangen.
    Ja, aber warum sitzt ihr im Dunkeln.
    Ist mir gar nicht aufgefallen.
    Wie geht’s dir, Schätzchen. Sie streicht mir über die Wange. Die Schneeflocken an ihrem Mantel verschwinden eine nach der anderen.
    Gut.
    Hast du Murph angerufen, fragt sie Jim über meine Schulter hinweg.
    Ja.
    Mrs. Ryan zieht ihre Stiefel aus. Sie spricht mit Jim in einem anderen Tonfall als mit mir. Mein Tonfall ist mir lieber. Als sie sich wieder aufrichtet, ist sie puterrot. Wo ist dein Onkel, fragt sie.
    Der musste nach London.
    Den Arm voller Plastiktüten, bleibt Jim auf halbem Wege zwischen Küchentisch und Anrichte stehen.
    London, sagt Mrs. Ryan. England.
    Ich schürze die Lippen. Nicke.
    Herrgott, Jim, nun mach doch endlich Licht.
    Er gehorcht. Die Deckenleuchte geht an.
    Wann ist er abgereist.
    Ich sehe auf meine Uhr. Ähm.
    Aber Weihnachten steht vor der Tür, flüstert Mrs. Ryan mit heiserer Stimme. Am liebsten würde ich mich auf den Boden werfen und mir die Ohren zuhalten. Sag so etwas nicht. Sag nichts gegen ihn, sonst muss ich dich hassen. Großmutter habe einen Schlaganfall gehabt, erkläre ich. Dabei sei sie gestürzt. Und jetzt geht sie auf dem Zahnfleisch, sage ich, obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin.
    Ach. Das tut mir aber …
    Ich müsste mal kurz aufs Klo.
    Natürlich.
    Ich nehme den Türknauf mit. Komisch, nicht.
    Ich steige die Treppe hinauf und überlege, wie man wohl auf dem Zahnfleisch geht. Wenn die Beine mal nicht mehr wollen. Auf dem Absatz bleibe ich stehen. An der Wand hängt ein Bild des jungen Jim Ryan in Polizeiuniform. Des Rätsels Lösung.
    Im Bad zurre ich meinen Pferdeschwanz ein wenig fester. Reibe mir das linke Auge. Pinkle. Starre beim Pinkeln mein Spiegelbild im Türknauf an. Mein Auge ist rot. Suche das Klopapier. Es steht hinter mir, unter dem Rock einer Barbiepuppe. Ihre Beine stecken in der Rolle, und der Rock ist darübergebreitet, sodass man ihn hochheben muss, um an das Klopapier zu kommen.
    Verzeihung, darf ich mal.
    Barbie fletscht die Zähne. Ist das normal.
    Als ich die Treppe hinunterkomme, höre ich Mrs. Ryan sagen: Sie ist ganz allein. Und Jim sagt: Die Russin ist ja auch noch da.
     
    Warum wird es eigentlich schon wieder dunkel. Ich habe das Gefühl, als ob die Sonne sich nur ein paar Minuten hätte sehen lassen – als Onkel Thobys Maschine startete – und dann gleich wieder verschwunden wäre.
    Ich stand am Maschendrahtzaun. Seine Maschine war hellblau mit einem zerknüllten Ahornblatt am Heck. Seit wann sind die Flugzeuge von Air Canada hellblau. Wie Bonbonpapier, das zu lange in der Sonne gelegen hat.
    Die Sonne kam heraus, ging an wie eine Deckenleuchte, grell und hässlich, und mir kamen die Tränen. Eigentlich ist es Quatsch, dass einem bei grellem Licht die Tränen kommen, weil die Tränen wie eine Vergrößerungslinse wirken. Komisches natürlich selektiertes Merkmal. Ich spielte mit dem Gedanken, über den Zaun zu klettern und die Rollbahn zu blockieren. Ob man ein Flugzeug anhalten kann, wenn es erst einmal rollt. Wenn es bereits seine Gedanken sammelt und an England denkt. Oder an Montreal. Kann man sich an die Räder hängen und es am Boden festhalten.
    Du darfst nicht nach Osten fliegen. Denn da

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