Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
nicht Nein sagen.
Jim sagt, Mrs. Ryan sei unterwegs, um die Leere des Kühlschranks zu beheben.
Dass sich das Innere eines fremden Hauses in ihm spiegelt, scheint den Türknauf über die Maßen zu erstaunen. Er liegt da, als sei er ohnmächtig geworden.
Murph ist ein alter Freund von mir, sagt Jim.
Murph hat meine Flower Shovel™ gebaut.
Das hast du schon mal gesagt. Ein echter Tausendsassa, dieser Murph.
Das Kaffeewasser gurgelt. Der Duft gibt mir Hoffnung. Im Türknauf habe ich eine spitze Nase. Das kommt von der konvexen Oberfläche. Das Fenster hinter mir ist golden und verzerrt. Der Schnee fällt quer.
Steckst du in Schwierigkeiten, fragt Jim.
Bitte.
Ich habe einen Streifenwagen gesehen …
Ach. Der Sheriff. Er hat mich nur nach Hause begleitet.
Der Sheriff, sagt Jim.
Ich nicke.
Das Haus der Ryans erinnert mich an eins von Mrs. Ryans geblümten Kleidern. Ich habe ein bisschen das Gefühl, ihr unter den Rock gekrochen zu sein. Warum haben wir eigentlich keine geblümte Tapete, und warum trage ich keine geblümten Kleider. Weil das des Guten entschieden zu viel wäre. Ja. Aber die Flower Shovel™ ist des Guten nicht zu viel. Nein. Warum. Weil ich die Schaufel schließlich nicht wie ein Markenzeichen durch die Gegend schleppe. Und selbst wenn, es gibt schließlich Grenzen. Man muss das Augenmerk nicht ständig auf den eigenen Namen lenken. Am besten gar nicht daran denken.
Natürlich bezeichnete mein Dad uns – uns drei – manchmal als den Blumenstrauß. Ich finde, dem Blumenstrauß könnte eine Mütze Schlaf nicht schaden, sagte er. Der Blumenstrauß wird welk. Eine Blume jedenfalls. Kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram, Welker.
Jim bringt zwei dampfende Becher Kaffee, ein Glas Oliven und zwei Gabeln auf den Tisch. Das Glas öffnet sich mit einem Hicks.
Olive Oliven, sage ich. Kapiert.
Er nickt. Du liebst Oliven.
An Jims rechtem Mittelfinger steckt ein großer Ring. Was es damit wohl auf sich hat. Was macht Jim Ryan eigentlich beruflich. Beziehungsweise machte. Inzwischen ist er Rentner. Der Ring sieht aus wie ein Bischofsring. Aber Bischof wird er wohl kaum gewesen sein. Das wüsste ich. Oder doch. Warum weiß ich als seine Biografin, pardon, Ex-Biografin nicht, ob Jim Ryan Bischof ist. Wir spießen unsere Oliven auf wie bei einem gemütlichen Fondue. Wenn, dann allenfalls ein anglikanischer Bischof. Er ist schließlich verheiratet.
Unterdessen hält er mir einen Vortrag über Schlösser. Er könne es nicht fassen, dass wir unsere Haustür nicht abschließen. Ich erkläre ihm, dass die Tür für Uneingeweihte durchaus ein Hindernis darstelle. Für Diebe sei sie mit Sicherheit kein Hindernis. Mit einem Doppelzylinderschloss hingegen, fährt er fort. Jim Ryan ist ein erklärter Fan des Doppelzylinderschlosses.
Bei einem Doppelzylinderschloss braucht man anscheinend für beide Seiten einen Schlüssel, sonst kommt man weder rein noch raus. Und das möchte ich auf keinen Fall. Mich von innen ausschließen. Oder doch. Vielleicht hätte ich ja das Gefühl, dass die Welt da draußen mir gehört, wenn ich einen Schlüssel zu ihr hätte.
Onkel Thoby brauchte drei Monate, um den NWS zu meistern. Mein Dad unterzog ihn einem regelrechten Intensivtraining. Du musst den Knauf festhalten und mit den Zehenspitzen auf die Schwelle treten. Du musst der Tür in die Augen sehen, sagte er. In welche Augen, fragte Onkel Thoby. Na, dahin, wo die Augen säßen, wenn sie welche hätte. Dann musst du sie nach links oben ziehen und ihr gleichzeitig mit dem linken Knie zwischen die Beine treten, sonst pariert sie nicht.
Onkel Thoby fiel lachend hintenüber.
Es war nicht leicht, in unser Haus zu gelangen. Umso leichter war es, wieder rauszukommen. Und genau das wünscht man sich doch eigentlich von einem Haus. Das Doppelzylinderschloss stellt eindeutig ein Sicherheitsrisiko dar. Zum Beispiel, wenn es brennt. Stellen Sie sich vor, Sie müssten erst mal Ihren Schlüssel suchen, um aus Ihrem brennenden Haus zu kommen. Wo ist mein Schlüssel zur Außenwelt, die nicht in Flammen steht. Wo ach wo. Brutzel.
In Sachen Brandschutz bin ich Expertin. Onkel Thoby installierte vier verschiedene Feuerlöscher im Haus. Jeder für eine bestimmte Art von Feuer. Einen für Haare und Fell. Dringend notwendig, weil ich bei dem Versuch, meine Aura mit Hilfe einer Kerze im Badezimmerspiegel zu betrachten, meinen Pferdeschwanz in Brand gesetzt hatte. Der Haar- und Fell-Feuerlöscher bekam den Namen Oddly-Löscher. Dann
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