Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Hause, oder
c. er kauft in einem 24-Stunden-Laden Cliparts.
Zwanzig Minuten später bekommen wir grünes Licht. Die Granate war doch nicht echt, sondern nur eine Gürtelschnalle in Granatenform in einem Gepäckstück. Es ist alles in bester Ordnung. Gehen Sie weiter.
Und so strömen wir massenweise in die geradezu obszön langsame Drehtür. Die natürlich sofort blockiert. O Gott, hat sich jemand was eingeklemmt. Keine Panik. Ruhe ist die erste Bürgerpf licht.
Wer berührt die verdammte Scheibe, fragt jemand.
Wir rücken enger zusammen. Wir sitzen fest.
Und das alles nur wegen einer Granatengürtelschnalle aus dem kleinen Ramschladen gleich neben der Fressmeile in der Mall. Die Ramschigkeit eines Ladens verhält sich direkt proportional zu seiner Entfernung von der Fressmeile, sagt jemand. Wir alle starren diesen Jemand an. Ach ja. So billig kann die Granatengürtelschnalle schlecht gewesen sein, sonst hätten sich die Sicherheitsbeamten des St. John’s International Airport wohl kaum täuschen lassen. Die im Übrigen seit Beginn ihrer dubiosen Karriere auf diesen Moment gewartet haben. Und dann so etwas. Eine Blamage.
Wenigstens durchsuchen sie das Gepäck überhaupt nach Granaten, sagt jemand.
Da bin ich aber beruhigt.
Die Tür dreht sich. Wir sind drin.
Ich renne die Treppe hoch. Ich werde einfach ohne Bordkarte durch die Sicherheitskontrolle marschieren. Aus dem Weg, Fettsack mit Knarre und Nikolausmütze.
Oben an der Treppe steht ein Schild mit der Aufschrift DEMNÄCHST HIER: SPÜRHUNDE.
Fettsack packt mich von hinten unter den Achseln und schleppt mich zurück durch das freistehende Rechteck, worauf der Alarm losgeht. Weil er bewaffnet ist. Da kann doch was nicht stimmen. Er, mit Knarre, darf passieren. Ich, ohne Knarre, nicht.
Besorgen Sie sich eine Bordkarte, Frollein, dann reden wir weiter, sagt er.
Aber ich möchte mich doch nur von jemandem verabschieden.
Oben können Sie sogar schalldicht und kugelsicher Winkewinke machen.
Oben.
Auf der Aussichtsplattform.
Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal.
Er ist am Flugsteig. Er steht am Fenster und sieht zu seiner Maschine hinaus. Ich liebe seine asymmetrische Silhouette.
Ich klopfe an die Scheibe. Keine Reaktion.
Da sehe ich Toff. Er sitzt nicht ganz so weit entfernt, genauer gesagt, direkt unter mir, und liest Zeitung.
Sie nehmen denselben Flug.
Mich beschleicht das Gefühl, dass hier irgendetwas faul ist, und zwar oberoberfaul. Ein ungutes Gefühl, was jedoch durchaus sein Gutes hat, denn jetzt weiß ich: Toff steckt hinter der ganzen Sache. Toff hat alles arrangiert. Ich nicke.
Von wegen Bis demnächst und Servus . Hier geht es nicht um einen Spaziergang um den Teich. Sondern um einen Flug über den Ozean. Via Montreal. Von der Dummheit von Air Canada mal abgesehen. Onkel Thoby f liegt via Montreal über den Großen Teich. Warum.
Weil auf dem Zettel nicht Schlagsahne , sondern Schlaganfall steht.
Deine Großmutter hatte einen Schlaganfall. Sie wartet darauf, dass ich ihr die Augen öffne. Muss nach Hause.
Ach. Also darum geht es. Großmutters Anfall. Von Wahnsinn. Von Genialität. Das Ganze ist ein Trick. Ein Komplott. Um uns auseinanderzumischen. Zu entzweien.
Ich klopfe an die Scheibe. Keine Reaktion. Bumm, bumm.
Die Aussichtsplattform hat eine nach außen geneigte Fensterfront, sodass man sich mit dem ganzen Körper über die Boarding Area hinauslehnen und so tun kann, als ob man mit dem Fallschirm abspringen würde. Was selbstredend verboten ist, wie ich dem entsprechenden Schild entnehme.
Des Weiteren wollen Flug 623 nach Montreal besteigen: drei junge Männer in Armeeuniform, die in ihre Handys lachen. Wahrscheinlich haben sie ihren Kameraden soeben von dem Granatengürtelschnallendebakel berichtet. Vielleicht gehört der Gürtel sogar einem von ihnen. Es würde mich jedenfalls nicht wundern. Denn wenn man tagtäglich mit Granaten umgeht und damit den einen oder anderen Feind vernichtet hat, entwickelt man vielleicht eine ästhetische Vorliebe für Granaten und damit das dringende Verlangen, ein Exemplar oberhalb des Schritts zur Schau zu tragen.
Ich beneide sie um ihre Handys. Onkel Thoby und mein Dad haben beziehungsweise hatten für Handys wenig übrig. Mein Dad aus einem ebenso einfachen wie einleuchtenden Grund: Weil ihre Besitzer ständig klingeln. Und Onkel Thoby ist dagegen, weil Handybenutzer dazu neigen, ihre Mitmenschen zu übersehen. Aber allmählich dämmert mir, dass ein Handy zwei Menschen auf ähnliche
Weitere Kostenlose Bücher