Die erste Nacht - Roman
an der Mauer, an der eine Glyzinie hochkletterte.
»Im Frühling hat sie hübsche blasslila Blüten«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben.
Ich betrachtete den Stein mit den eingemeißelten Lettern, deren Blattgold fast verschwunden war. Doch der Name William Perkins war noch zu erkennen.
»Jeanne wird mir böse sein, dass ich dich mit hierhergenommen habe, ohne mit ihr darüber zu sprechen.«
Ich legte schweigend den Arm um sie.
»Ich habe die halbe Welt durchreist, um ihm zu beweisen, wozu ich fähig bin, und stehe jetzt doch nur mit leeren Händen und schwerem Herzen da. Ich glaube, was ich seit jeher suche, ist seine Anerkennung.«
»Ich bin sicher, er ist stolz auf dich.«
»Er hat es mir nie gesagt.«
Keira strich über den Stein und nahm meine Hand.
»Ich wünschte, du hättest ihn kennengelernt, er war ein so diskreter und am Ende seines Lebens so einsamer Mann. Als kleines Mädchen bombardierte ich ihn mit Fragen, auf die er immer bemüht war, mir zu antworten. Wenn das Problem zu schwierig wurde, begnügte er sich mit einem Lächeln und ging mit mir am Strand spazieren. Am Abend stand ich leise auf und schlich zur Küche, wo er in seiner Enzyklopädie las. Am
nächsten Morgen beim Frühstück wandte er sich an mich und sagte ganz beiläufig: Du hast mir gestern eine Frage gestellt, dann haben wir wohl von etwas anderem gesprochen, und ich habe vergessen, dir eine Antwort zu geben. Hier ist sie …«
Keira fröstelte. Ich zog meinen Mantel aus und legte ihn ihr über die Schultern.
»Du hast mir nie etwas über deine Kindheit erzählt, Adrian.«
»Weil ich so diskret bin wie dein Vater, außerdem rede ich nicht gern über mich.«
»Dann musst du dich ein bisschen anstrengen«, sagte Keira. »Wenn wir ein Stück des Wegs gemeinsam gehen wollen, darf kein Schweigen zwischen uns sein.«
Keira führte mich zum Victory. Der Speisesaal war noch leer, die Wirtin bot uns einen Tisch am Fenster an und servierte uns ein üppiges Frühstück. Ich glaubte, ein geheimes Einverständnis zwischen ihr und Keira wahrzunehmen. Schließlich führte sie uns auf unser Zimmer im ersten Stock mit Blick auf den Hafen von St. Mawes. Wir waren die einzigen Hotelgäste, dabei hatte der Ort im Winter durchaus seine Reize. Ich trat ans Fenster, jetzt war Ebbe, die Fischerboote lagen auf der Seite. Ein Mann lief mit seinem kleinen Sohn an der Hand über den Kiesstrand. Keira lehnte sich neben mir auf die Fensterbank.
»Mein Vater fehlt mir auch«, sagte ich, »er hat mir immer gefehlt, auch als er noch lebte. Wir hatten keinen richtigen Kontakt zueinander. Er war ein sehr begabter Mann, doch er arbeitete zu viel, um zu merken, dass er einen Sohn hatte. Es wurde ihm erst bewusst, als ich zu Hause ausgezogen war. Wir lebten nebeneinander her, ohne uns wirklich zu sehen. Doch ich kann mich nicht beklagen, meine Mutter hat mir alle Zärtlichkeit und Liebe der Welt gegeben.«
Keira sah mich lange an und fragte mich dann, warum ich Astrophysiker geworden sei.
»Wenn ich in meiner Kindheit auf der Insel Hydra war, hatten meine Mutter und ich vor dem Zubettgehen ein Ritual. Wir stellten uns nebeneinander ans Fenster, so wie wir beide jetzt, und betrachteten gemeinsam den Himmel. Mama erfand Namen für die Sterne. Eines Abends fragte ich sie, wie die Welt entstanden sei, warum jeden Morgen der Tag erwachte und ob es später immer Nacht würde. Mama sah mich an und sagte: Es gibt genauso viele verschiedene Welten, wie es Leben im Universum gibt. Meine Welt hat mit dem Tag begonnen, als du geboren wurdest, mit dem Augenblick, da ich dich in den Armen hielt . Seit meiner Kindheit träume ich davon herauszufinden, wo das Morgengrauen beginnt.«
Keira schlang die Arme um meinen Hals.
»Du wirst ein wunderbarer Papa sein.«
London
»Ich verkaufe mein Auto gleich Montag wieder, gebe Ihnen das Geld zurück und besorge mir ein Paar Gummistiefel! Zum Teufel mit dem Dach über der Akademie - ich unternehme nichts mehr, um ihn zum Weitermachen zu bewegen, Schluss, aus! Zählen Sie nicht länger auf mich. Jeden Morgen, wenn ich in den Spiegel schaue, fühle ich mich schmutzig und schäme mich dafür, Adrians Vertrauen zu missbrauchen. Es ist sinnlos zu insistieren, nichts ist dazu angetan, mich von meinem Vorsatz abzubringen. Ich hätte Sie schon lange zum Teufel schicken sollen. Und wenn Sie was auch immer unternehmen, um den beiden schmackhaft zu machen, ihre Suche fortzusetzen, sage ich ihnen alles, selbst wenn ich letzten Endes nur
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