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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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Adrian.«
    »Als Oscar Wilde in einem Pariser Hotel seinen letzten Atemzug tat, soll er verkündet haben: ›Ich sterbe über meine Verhältnisse.‹ Da uns nichts Gutes bevorsteht, lass mich seiner würdig sein!«
    Aus meiner Jackentasche zog ich einen Umschlag, der ein kleines Bündel grüner Banknoten enthielt.
    »Woher kommt dieses Geld?«, fragte Keira.
    »Ein Geschenk von Ivory. Er hat es mir beim Abschied zugesteckt.«
    »Und du hast es angenommen?«
    »Ich musste ihm versprechen, den Umschlag erst nach dem Start zu öffnen. Und in tausend Meter Höhe konnte ich es doch nicht aus dem Fenster werfen …«
     
    Wir verließen Addis Abeba an Bord einer Piper Cub. Sie flog nicht besonders hoch, und der Pilot machte uns auf eine Elefantenherde aufmerksam und etwas weiter auf mehrere Giraffen,
die durch die Weiten der Savanne galoppierten. Nach einer Stunde setzte die Maschine zur Landung an. Die kurze Piste von Jinka tat sich vor uns auf. Das Fahrgestell federte mehrmals auf der Lehmpiste ab, ehe die Räder zum Stehen kamen, dann wendete die Maschine am Ende der Piste. Draußen entdeckte ich eine Kinderschar, die auf uns zugelaufen kam. Auf einem Ölfass saß ein Junge, der etwas älter war als die anderen und beobachtete, wie unsere Maschine auf die Strohhütte zurollte, die als Terminal diente.
    »Irgendwie habe ich den Eindruck, den Kleinen da zu kennen«, sagte ich und zeigte mit dem Finger in seine Richtung. »Er hat mir geholfen, dich zu finden, als ich zum ersten Mal hier war.«
    Keira beugte sich zum Fenster. Und im selben Moment sah ich, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
    »Und ich bin sicher, ihn zu kennen«, sagte sie.
    Der Pilot stellte den Motor ab. Keira stieg als Erste aus. Sie bahnte sich einen Weg durch die Horde von Kindern, die schreiend um sie herumhüpften. Der Junge verließ seinen Posten auf dem Ölfass und wandte sich zum Gehen.
    »Harry«, schrie Keira, »Harry, ich bin’s!«
    Harry drehte sich um und starrte sie an. Keira stürzte auf ihn zu, fuhr mit der Hand durch sein struppiges Haar und schloss ihn in die Arme.
    »Siehst du«, sagte sie und schluchzte, »ich habe mein Versprechen gehalten.«
    Harry hob den Kopf.
    »Du hast aber ganz schön lange dafür gebraucht!«
    »Ich habe getan, was ich konnte«, erwiderte sie, »aber jetzt bin ich da.«
    »Deine Freunde haben alles wieder aufgebaut, es ist noch größer als vor dem Sturm. Wirst du dieses Mal bleiben?«

    »Ich weiß es nicht, Harry, ich weiß es nicht.«
    »Also wann brichst du wieder auf?«
    »Ich bin doch gerade erst angekommen, und du willst, dass ich schon wieder fahre?«
    Der Junge löste sich aus Keiras Umarmung und entfernte sich. Ich zögerte einen Augenblick, dann lief ich ihm nach, bis ich ihn eingeholt hatte.
    »Hör zu, mein Lieber, es ist kein Tag vergangen, ohne dass sie von dir gesprochen hat, keine Nacht ist sie eingeschlafen, ohne an dich zu denken. Meinst du nicht, dass sie sich damit einen freundlicheren Empfang verdient hat?«
    »Sie ist jetzt mit dir zusammen, warum ist sie dann zurückgekehrt? Wegen mir oder um erneut in der Erde zu graben? Fliegt nach Hause zurück, ich habe zu tun.«
    »Ob du es glaubst oder nicht, Keira liebt dich. Ach, wenn du wüsstest, wie sehr du ihr gefehlt hast. Kehr ihr nicht den Rücken zu. Ich bitte dich von Mann zu Mann, weise sie nicht ab.«
    »Lass ihn in Ruhe«, murmelte Keira, die sich zu uns gesellt hatte. »Mach, was du willst, Harry, ich verstehe dich, und es ändert nichts an meiner Liebe zu dir.«
    Keira nahm ihre Reisetasche und ging zur Strohhütte, ohne sich umzusehen. Harry zögerte einen Augenblick und rannte ihr dann nach.
    »Wohin gehst du?«
    »Keine Ahnung, ich muss versuchen, Eric und die anderen zu finden. Ich brauche ihre Hilfe.«
    Der Junge vergrub die Hände in den Hosentaschen und kickte einen Kieselstein weg.
    »Ah, verstehe«, sagte er.
    »Was verstehst du?«
    »Dass du nicht ohne mich auskommst.«

    »Das, mein Lieber, weiß ich seit dem Tag, da ich dir zum ersten Mal begegnet bin.«
    »Soll ich dir dort helfen?«
    Keira beugte sich zu ihm hinab und sah ihm geradewegs in die Augen.
    »Ich möchte zunächst, dass wir Frieden schließen«, sagte sie und öffnete die Arme.
    Harry zögerte einen Moment und streckte ihr die Hand entgegen, doch Keira verbarg ihre hinter dem Rücken.
    »Nein, ich will, dass du mich umarmst.«
    »Ich bin jetzt zu alt dafür«, sagte er in ernstem Tonfall.
    »Ja, aber ich nicht. Nimmst du mich nun in die Arme, ja oder

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