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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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ins Kloster zurückkehren. Doch während ich mich noch mit diesem Gedanken beschäftige, kommt mein Gastgeber zurück. Er küsst seine Frau, nimmt seine Tochter auf den Arm und tritt ins Zelt. Nachdem er sich frisch gemacht hat, überrascht er mich dabei, wie ich etwas abseits von den anderen auf den Horizont starre. Er setzt sich zu mir und bietet mir eine seiner Zigaretten an. Ich lehne dankend ab. Er zündet seine an und blickt nun ebenfalls in die Ferne. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich den Wunsch habe, ihm dein Gesicht zu zeigen. Wahrscheinlich, weil du mir so entsetzlich fehlst und weil es ein guter Vorwand ist, mir noch einmal dein Bild anzusehen. Es ist das Wertvollste, was ich mit ihm teilen kann.
    Ich ziehe es aus der Tasche und zeige es ihm. Als er es mir zurückgibt, lächelt er. Dann stößt er den Rauch seiner Zigarette aus, drückt die Kippe zwischen den Fingern aus und geht.
    Nach Einbruch der Dunkelheit essen wir zusammen mit den beiden anderen Familien, die sich zu uns gesellt haben, das Ragout. Das kleine Mädchen setzt sich neben mich, und weder ihr Vater noch ihre Mutter scheinen verärgert über diese neue Freundschaft. Im Gegenteil, ihre Mutter streicht ihr übers Haar und sagt mir ihren Vornamen. Sie heißt Rhitar. Später erfahre ich, dass man einem Kind diesen Namen gibt, wenn ein älteres Geschwister gestorben ist, um den bösen Fluch zu bannen. Ist Rhitars Lachen so hell, um den Kummer eines Dramas auszulöschen, das sich vor ihrer Geburt zugetragen hat? Um ihre Eltern daran zu erinnern, dass wieder Freude ins Haus
eingekehrt ist? Rhitar ist auf dem Schoß ihrer Mutter eingeschlummert, und selbst im tiefen Schlaf lächelt sie.
    Nach dem Essen legen die Männer weite Hosen an, die Frauen öffnen die Ärmel ihrer Oberkleider und lassen sie im Wind flattern. Sie fassen sich bei den Händen und bilden einen Kreis, auf der einen Seite die Männer, auf der anderen die Frauen. Sie singen, die Frauen schwenken ihre Ärmel, und wenn der Gesang aufhört, stoßen die Tanzenden im Chor einen Schrei aus. Dann bewegt sich der Kreis in die andere Richtung, der Rhythmus beschleunigt sich. Sie laufen, hüpfen, schreien und singen, bis sie erschöpft sind. Ich werde in diesen fröhlichen Reigen einbezogen und lasse mich vom Reisschnaps und tibetischen Tanz berauschen.
     
    Eine Hand rüttelt mich leicht an der Schulter, ich öffne die Augen und erkenne im Halbdunkel das Gesicht des Nomaden. Schweigend bedeutet er mir, ihm nach draußen zu folgen. Die Hochebene liegt im grauen Licht der ausklingenden Nacht. Mein Gastgeber trägt mein Gepäck auf der Schulter. Ich weiß nicht, was er vorhat, aber ich vermute, dass er mich an jenen Ort führen will, wo sich unsere Wege trennen werden. Wir nehmen denselben Pfad wie am Vortag. Schweigend laufen wir eine gute Stunde, und als wir die höchste Erhebung erreicht haben, wendet er sich nach rechts. Wir durchqueren ein Wäldchen aus Ulmen und Haselnusssträuchern, in dem er jeden Weg, jede Unebenheit zu kennen scheint. Als wir heraustreten, ist es immer noch nicht richtig hell. Mein Führer legt sich auf den Boden und macht mir ein Zeichen, seinem Beispiel zu folgen: Er bedeckt mich mit Blättern und zeigt mir, wie ich mich tarnen soll. So liegen wir schweigend da, wie zwei Späher, doch ich weiß nicht, wonach wir Ausschau halten. Vielleicht hat er mich zum Wildern mitgenommen, aber ich frage mich, welches
Wild wir wohl jagen, denn wir haben keine Waffen dabei. Oder will er die Beute aus seinen Fallen holen?
    Doch ich muss mich noch eine gute Stunde gedulden, um festzustellen, wie falsch meine Vermutung ist und warum er mich in Wirklichkeit hierhergeführt hat.
    Als es endlich Tag wird, erkenne ich im fahlen Licht die Umfriedungsmauer eines riesigen Klosters, fast ein befestigtes Dorf.
    »Garther«, murmelt mein Begleiter.
    Eines Nachts habe ich ihm den Namen eines Sterns geschenkt, der am Himmel über seiner Hochebene strahlt, tags darauf nennt er mir den Ort, den ich dringender finden will als irgendeinen Stern im endlosen Universum.
    Mein Gefährte macht mir ein Zeichen, mich vor allem nicht zu bewegen. Die Vorstellung, man könne uns entdecken, scheint ihm Angst zu machen. Ich sehe keinen Grund zur Sorge, das Kloster ist über einhundert Meter entfernt. Doch jetzt, da sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnen, glaube ich, Gestalten zu erkennen, die auf dem Wehrgang umherlaufen.
    Nach welcher Gefahr mögen sie Ausschau halten? Fürchten sie einen

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