Die erste Nacht - Roman
solltest sie mal sehen, seit du krank bist und dein Freund hier ist - ein Backfisch könnte man meinen. Völlig lächerlich.«
»Für Verliebtheit gibt es kein Alter, und wenn es sie glücklich macht …«
»Sie ist nicht glücklich, weil sie verliebt ist, sondern weil ihr jemand den Hof macht.«
»Und du, hast du nie daran gedacht, ein neues Leben anzufangen? Du hast lange genug Trauer getragen. Wenn du jemand anderen in dein Haus lässt, bedeutet das noch lange nicht, dass du Papa aus deinem Herzen vertreibst.«
»Das sagst ausgerechnet du mir? In meinem Haus wird es nur einen Mann geben, und das ist dein Vater. Auch wenn er auf dem Friedhof liegt, ist er gegenwärtig. Ich spreche jeden Tag beim Aufstehen mit ihm, später in der Küche und auf der Terrasse, wenn ich mich um die Blumen kümmere, und auch auf dem Weg ins Dorf und abends, wenn ich schlafen gehe. Ich bin nicht allein, nur weil dein Vater nicht mehr da ist. Bei Elena ist das etwas anderes, sie hatte nie das Glück, einem Mann wie dem meinen zu begegnen.«
»Meinst du nicht, das wäre Grund genug, sie jetzt ein wenig flirten zu lassen?«
»Ich stelle mich dem Glück deiner Tante nicht in den Weg, aber ich würde es vorziehen, wenn es nicht mit einem Freund meines Sohnes wäre. Ich weiß, das mag altmodisch sein, aber auch ich habe das Recht, meine Fehler zu haben. Sie hätte sich ja diesen Bekannten von Walter, der dich besucht hat, aussuchen können.«
Ich richtete mich in meinem Bett auf. Meine Mutter nutzte sofort die Gelegenheit, um die Kissen aufzuschütteln.
»Welcher Bekannte?«
»Ich weiß es nicht, ich habe ihn nur vor ein paar Tagen, als du noch nicht bei Bewusstsein warst, auf dem Gang gesehen. Ich hatte keine Gelegenheit, ihn zu begrüßen, er ging, als ich kam. Auf jeden Fall eine stattliche Erscheinung, gebräunte Haut, ich fand ihn elegant. Und statt zwanzig Jahre jünger zu sein als deine Tante, war er ebenso viel älter.«
»Und du hast keine Ahnung, wer es war?«
»Ich bin nur an ihm vorbeigegangen. Und jetzt ruh dich aus, damit du wieder zu Kräften kommst. Lass uns über etwas anderes reden, ich höre unsere beiden Turteltauben auf dem Flur kichern, sie werden sicher gleich reinkommen.«
Elena kam Mama abholen, es wurde Zeit, wenn sie das letzte Schiff nach Hydra nicht verpassen wollten. Walter begleitete sie zum Aufzug und kam kurz darauf zurück.
»Ihre Tante hat mir zwei, drei Episoden aus Ihrer Kindheit erzählt, sie ist wirklich sehr unterhaltsam.«
»Wenn Sie es sagen.«
»Beunruhigt Sie etwas, Adrian?«
»Mama hat mir gesagt, Sie wären vor einigen Tagen in Begleitung eines Bekannten hier gewesen. Wer war das?«
»Ihre Mutter muss sich irren, wahrscheinlich war es ein Besucher, der mich nach dem Weg gefragt hat. Ja, jetzt erinnere ich mich, ein älterer Herr suchte einen Verwandten, und ich habe ihn zum Schwesternzimmer geführt.«
»Ich glaube, ich habe eine Idee, wie wir an Keiras Pass kommen können.«
»Sehr viel interessanter, ich höre.«
»Ihre Schwester Jeanne kann uns vielleicht helfen.«
»Und wissen Sie, wie man diese Jeanne erreicht?«
»Ja, das heißt, nein«, sagte ich verlegen.
»Ja oder nein?«
»Ich habe nie den Mut gefunden, sie anzurufen und ihr von dem Unfall zu erzählen.«
»Sie haben ihr seit drei Monaten keine Nachricht von Keira gegeben?«
»Ihr am Telefon mitzuteilen, dass sie tot ist, war mir unmöglich, und nach Paris zu fahren, ging über meine Kräfte.«
»Welch ein Feigling! Können Sie sich vorstellen, wie beunruhigt
sie sein muss? Wie kommt es übrigens, dass sie sich nicht gemeldet hat?«
»Es war keine Seltenheit, dass Jeanne und Keira länger nichts voneinander gehört haben.«
»Nun, dann fordere ich Sie hiermit auf, möglichst schnell Kontakt mit ihr aufzunehmen, und wenn ich sage möglichst schnell, dann meine ich noch heute!«
»Nein, ich muss hinfahren.«
»Seien Sie nicht albern, Sie sind ans Bett gefesselt, und wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte Walter und reichte mir das Telefon. »Sehen Sie zu, wie Sie mit Ihrem schlechten Gewissen klarkommen, und rufen Sie an.«
Mit meinem schlechten Gewissen klarkommen, ja, das versuchte ich, so gut ich konnte. Und sobald Walter mich allein gelassen hatte, suchte ich die Nummer des Museums am Quai Branly. Jeanne war in einer Besprechung und durfte nicht gestört werden. Ich versuchte es immer wieder, bis mir die Empfangsdame erklärte, meine Hartnäckigkeit würde zu nichts führen. Vermutlich hatte es
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