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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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ansonsten richtete er kaum das Wort an mich.
    Ich weiß nicht, durch welchen Glücksfall, doch es gelang ihm, innerhalb von achtundvierzig Stunden ein Visum bei der chinesischen Botschaft für mich zu bekommen. Ich bedankte mich. Seit unserer Flucht aus dem Krankenhaus war er nicht mehr derselbe.
    Eines Abends, als wir in unserem Zimmer aßen, machte Walter den Fernseher an, weil er noch immer nicht mit mir reden wollte, doch ich nahm ihm die Fernbedienung weg und schaltete den Apparat aus.

    »Warum sind Sie so verärgert?«
    Walter riss sie mir aus der Hand und schaltete wieder ein.
    Ich erhob mich, zog den Stecker aus der Dose und baute mich vor ihm auf.
    »Wenn ich etwas getan habe, was Ihnen missfällt, lassen Sie uns die Sache bereinigen.«
    Walter sah mich lange an und ging, ohne ein Wort zu sagen, ins Badezimmer. Sosehr ich auch gegen die Tür trommelte, er weigerte sich zu öffnen. Kurz darauf kam er im Schlafanzug wieder heraus und warnte mich: Falls das Karomuster Anlass zum geringsten spöttischen Kommentar geben sollte, könne ich auf dem Gang nächtigen. Dann legte er sich ins Bett und machte das Licht aus, ohne mir eine gute Nacht zu wünschen.
    »Walter«, sagte ich im Dunkeln, »was habe ich getan, was ist passiert?«
    »Passiert ist, dass es manchmal sehr anstrengend ist, Ihnen zu helfen.«
    Dann herrschte wieder Schweigen, und mir wurde bewusst, dass ich ihm nicht besonders gedankt hatte für all die Mühe, die er in letzter Zeit meinetwegen auf sich genommen hatte. Diese Gleichgültigkeit hatte ihn sicher verletzt, und ich entschuldigte mich dafür. Walter antwortete mir, dass ihm das völlig egal sei. Doch, so fügte er hinzu, sollte es mir gelingen, meine Mutter und vor allem meine Tante ob unseres unmöglichen Benehmens im Krankenhaus zu versöhnen, wäre er mir dankbar. Daraufhin drehte er sich um und schwieg.
    Ich knipste das Licht wieder an und richtete mich auf.
    »Was ist jetzt noch?«, fragte Walter.
    »Schlägt Ihr Herz wirklich für Elena?«
    »Das kann Ihnen doch egal sein. Sie denken sowieso nur an Keira, an Ihre eigene Geschichte, etwas anderes gibt es für Sie nicht. Wenn es nicht Ihre Forschungen und Ihre albernen
Fragmente sind, wenn es nicht Ihre Gesundheit ist, dann geht es um Ihre Archäologin, und jedes Mal ruft man den guten Walter zu Hilfe. Walter hier, Walter dort, aber wenn ich mich einmal Ihnen anvertrauen will, machen Sie sich über mich lustig. Erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, dass Sie sich für meine Gefühle interessieren, denn das einzige Mal, als ich mit Ihnen darüber sprechen wollte, haben Sie mich ausgelacht.«
    »Ich versichere Ihnen, das war nicht meine Absicht.«
    »Das hat man aber nicht gemerkt. Können wir jetzt schlafen?«
    »Nein, nicht solange diese Diskussion nicht beendet ist.«
    »Aber welche Diskussion?«, schimpfte Walter. »Der Einzige, der redet, sind Sie.«
    »Walter, sind Sie wirklich in meine Tante verliebt?«
    »Es ist mir höchst unangenehm, sie durch unsere Flucht aus dem Krankenhaus verärgert zu haben. Reicht Ihnen das als Antwort?«
    Ich rieb mir das Kinn und überlegte kurz.
    »Und wenn ich die ganze Schuld auf mich nehmen und sie Ihnen verzeihen würde? Wären Sie mir dann nicht mehr böse?«
    »Versuchen Sie es, dann werden wir sehen.«
    »Ich kümmere mich gleich morgen früh darum.«
    Walters Gesicht erhellte sich, ja, er lächelte sogar.
    Fünf Minuten später fuhr er hoch und machte wieder Licht.
    »Warum wollen Sie sich nicht heute Abend entschuldigen?«
    »Soll ich Elena um diese Zeit anrufen?«
    »Es ist erst zehn Uhr. Ich habe Ihnen das Visum für China innerhalb von zwei Tagen besorgt. Da können Sie mir die Vergebung Ihrer Tante doch wohl an einem Abend beschaffen, oder?«
    Ich erhob mich und rief meine Mutter an. Eine gute Viertelstunde hörte ich mir ihre Vorhaltungen an, ohne ein Wort
sagen zu können. Als ihr nichts mehr einfiel, fragte ich sie, ob sie nicht auch, egal unter welchen Umständen, bis ans Ende der Welt gefahren wäre, um meinen Vater zu holen, wenn er in Gefahr gewesen wäre. Ich hörte förmlich, wie sie überlegte. Und ohne sie zu sehen, wusste ich, dass sie lächelte. Sie wünschte mir eine gute Reise und sagte, ich solle unterwegs nicht trödeln. Während meines Aufenthalts in China wolle sie zu Keiras Empfang einige Spezialitäten zubereiten, die dieses Namens würdig seien.
    Sie wollte gerade auflegen, als mir der Grund meines Anrufs wieder einfiel, und ich sie bat, mir Elena zu geben. Meine Tante

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