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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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uns Egorov mit Fragen. Als ich ihm schließlich beschrieb, was geschah, wenn man die Gegenstände zusammenführte, flehte er uns geradezu an, diesem Phänomen einmal beiwohnen zu dürfen. Es war schwer, ihm, was auch immer, zu verweigern. Keira und ich näherten unsere beiden Fragmente einander, die sogleich die bläuliche Färbung annahmen, auch wenn diese noch etwas blasser war als beim letzten Mal. Egorov riss die Augen auf, sein Gesicht schien um Jahre verjüngt, und er, bislang so ruhig, war plötzlich aufgeregt wie ein kleiner Junge an Heiligabend.
    »Was, glauben Sie, passiert, wenn alle Fragmente vereint würden?«
    »Ich habe nicht die geringste Vorstellung«, erwiderte ich, bevor Keira antworten konnte.
    »Und Sie sind beide sicher, dass diese Steine vierhundert Millionen Jahre alt sind?«
    »Es handelt sich nicht um Steine«, entgegnete Keira. »Was das Alter betrifft, sind wir aber sicher.«
    »Ihre Oberfläche ist nur augenscheinlich glatt, in Wirklichkeit ist sie von Millionen von Mikroperforationen überzogen. Wenn die Fragmente einer sehr starken Lichtquelle ausgesetzt sind, projizieren sie eine Karte mit den Sternkonstellationen, wie man sie zu jener Zeit am Himmel vorfand. Wenn wir
einen starken Laser zur Verfügung hätten, könnte ich es demonstrieren.«
    »Das hätte ich wahnsinnig gerne gesehen, aber leider besitze ich kein solches Gerät.«
    »Das Gegenteil hätte mich beängstigt«, gestand ich.
    Nach dem Dessert - ein mit Alkohol durchtränkter Kuchen - stand Egorov auf und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen.
    »Und Sie glauben«, fuhr er gleich darauf fort, »dass sich eins der fehlenden Fragmente auf dem Areal der Sieben Riesen des Urals befinden könnte? Natürlich glauben Sie es, welche Frage!«
    »Ich würde Ihnen so gerne antworten können!«, erwiderte Keira.
    »Naiv und optimistisch! Sie sind wirklich charmant.«
    »Und Sie …«
    Ich versetzte ihr unter dem Tisch einen leichten Stoß mit dem Knie, bevor sie ihren Satz beenden konnte.
    »Wir haben Winter«, sagte Egorov, »das Man-Pupu-Nyor-Plateau wird von Winden gepeitscht, die so kalt und trocken sind, dass der Schnee kaum liegen bleibt, und der Boden ist gefroren. Wollen Sie Ihre Ausgrabungen mit zwei kleinen Schaufeln und einem Metalldetektor durchführen?«
    »Hören Sie auf, uns so herablassend zu behandeln, das ist unerträglich. Und zu Ihrer Orientierung: Die Fragmente sind nicht aus Metall.«
    »Was ich Ihnen anbiete, ist kein Metalldetektor für Amateure, die am Strand nach Münzen suchen«, erwiderte Egorov, »sondern ein äußerst ehrgeiziges Projekt …«
    Egorov forderte uns auf, ihm in den Salon zu folgen, der es mit seinem Esszimmer durchaus aufnehmen konnte. Der Marmorfußboden war einem kostbaren Eichenparkett gewichen,
das Mobiliar kam aus Italien und Frankreich. Wir ließen uns auf bequemen Kanapees vor einem monumentalen Kamin nieder, in dem ein üppiges Feuer knisterte.
    Egorov schlug vor, uns etwa zwanzig Männer und alles Material zur Verfügung zu stellen, das Keira für ihre Ausgrabungen benötigte. Was er ihr versprach, war mehr als alles, worüber sie bisher verfügt hatte. Im Gegenzug für diese unerwartete Hilfe aber wollte er an all ihren Entdeckungen beteiligt sein.
    Keira erläuterte ihm, dass kein finanzieller Gewinn zu erwarten sei. Das, was wir zu finden erhofften, habe keinen Handelswert, sondern nur einen wissenschaftlichen. Egorov reagierte empört.
    »Wer spricht hier von Geld? Nur Sie haben dieses Wort im Mund geführt. Habe ich etwa jemals von Geld gesprochen?«
    »Nein«, erwiderte Keira verwirrt, »aber wir wissen beide, dass die Mittel, die Sie mir anbieten, eine enorme Investition bedeuten, und bislang bin ich in meiner Laufbahn nur wenigen Menschenfreunden begegnet.«
    Egorov öffnete einen Humidor und hielt ihn uns hin. Fast hätte ich mich verführen lassen, Keiras finsterer Blick aber hielt mich dann doch zurück.
    »Ich habe den größten Teil meines Lebens archäologischen Arbeiten gewidmet«, fuhr Egorov fort, »und das unter weit schwierigeren Bedingungen als allem, was Sie je kennenlernen werden. Ich habe mein Leben riskiert, körperlich wie politisch, ich habe viele Schätze gerettet, ich habe Ihnen bereits die Umstände beschrieben, und zum Dank behandeln mich diese Mistkerle von der Akademie der Wissenschaften wie einen gemeinen Schwarzhändler. Als hätten sich die Dinge heute derart geändert! Welche Heuchler! Drei Jahrzehnte bewirft man mich jetzt schon mit Schmutz.

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