Die erste Todsuende
sie war die erste Frau, mit der ich geschlafen hatte, die als Persönlichkeit existierte und nicht nur als Körper. Das jüdische Mädchen aus Boston war nichts als ein Körper gewesen. Meine Frau war ein Körper gewesen. Jetzt kannte ich eine Persönlichkeit - nennen Sie es meinetwegen eine 'Seele', wenn es Ihnen Spaß macht —, die genauso unergründlich war wie ich selbst. Folglich wäre es für mich genausowenig logisch gewesen, von mir zu erwarten, daß ich sie verstünde, wie von ihr, daß sie mich verstünde.
Zum Beispiel: Wir erhoben uns von einem verschwitzten Lager, wo wir so intim gewesen sind, wie Mann und Frau es körperlich nur sein können. Ich habe sie geschmeckt. Dann, angekleidet und völlig ruhig, fasse ich sie auf dem Weg zum Restaurant am Arm, um sie vor einem in rasender Fahrt näher kommenden Taxi zurückzureißen. Voller Abscheu sieht sie mich an und sagt: 'Du hast mich angefaßt!'
Ein weiteres Beispiel: Sie verschwindet häufig und ohne vorher Bescheid zu sagen: stundenlang, tagelang, manchmal eine ganze Woche lang. Ohne eine Erklärung oder Entschuldigung ist sie wieder da, für gewöhnlich völlig erschöpft und mit blauen Flecken übersät, manchmal sogar mit Wunden und Verbänden. Ich stelle keine Fragen; sie von sich aus gibt keine Erklärung. Wir haben ein unausgesprochenes Abkommen: Ich spioniere ihr nicht nach, sie stellt mir keine Fragen. Mit Ausnahme, was das Töten betrifft. Davon kann sie einfach nicht genug bekommen.
Und noch ein Beispiel: Sie kauft eine englische Reitpeitsche, doch ich weigere mich. Sowohl sie zu schlagen als auch mich schlagen zu lassen.
Man könnte endlos weiter über sie erzählen.
Zum Beispiel: Sie behandelt einen Taxifahrer ganz abscheulich, bloß weil er einen kleinen Umweg mit uns gefahren ist, und sagt laut, ich soll ihm kein Trinkgeld geben. Drei Stunden später besteht sie darauf, einem zerlumpten, betrunkenen und nach Urin stinkenden Bettler Geld zu geben. Nun...
Geschehen war, glaube ich, folgendes: Wir hatten auf einer bestimmten Ebene begonnen, in dem Bemühen, eine befriedigende Beziehung zueinander zu finden. Dann, aus Übersättigung oder aus Langeweile, fingen wir, nachdem das ungehemmte sexuelle Bedürfnis abgeklungen war, an, jenen psychischen Bereich des Sexuellen zu erkunden, an den sie und ich so fest glaubten. Danach -als auch das sich als nicht befriedigend erwies - gruben wir noch tiefer, versetzten uns einer in den anderen und blieben einander im Grunde doch fremd. Ich versuchte, es ihr klarzumachen: um das Äußerste an Beziehung zueinander zu erreichen, muß man sich durchdringen. Ist es nicht so?
Ich darf sie nicht wiedersehen. Dazu rang ich mich immer wieder durch, denn ich brachte es nicht fertig, damit fertig zu werden, daß sie genausosehr Mensch war wie ich, doch im letzten Augenblick, wenn ich schon sicher war, daß es aus sei zwischen uns, pflegte sie anzurufen und mir am Telefon Dinge zu sagen... Ach! Also trafen wir uns doch wieder zum Mittag- oder Abendessen, und unter dem Tischtuch, unter unseren nebeneinandergelegten Servietten faßte sie mich an und sah mir dabei in die Augen. Und es fing wieder von vorn an.
Eines verdanke ich ihr: das Töten. Sehen Sie, ich kann sie offen zugeben. Die Morde. Daniel, ich liebe dich! Ich weiß, was ich getan habe und tun werde, und ich empfinde keinerlei Schuld. Es ist nicht jemand anders, der es tut. Nein, das bin ich, Daniel Blank; ich leugne nichts, entschuldige nichts und bedaure nichts. Genausowenig, wie wenn ich wieder einmal nackt vor einem dämmerig beleuchteten Spiegel stehe und mich berühre. Das Geheimnis, das Inseldasein zu leugnen und zu sterben, ohne Erfüllung gefunden zu haben - das ist das Schlimmste.
Was ich vor allem brauche, ist tiefer und immer tiefer in mich einzudringen, eine Schale nach der anderen abzuwerfen - die menschliche Zwiebel. Ich bin im Vollbesitz meiner Fähigkeiten. Ich weiß, die meisten Menschen würden mich für verworfen oder geistesgestört halten. Aber ist das von irgendeinem Belang? Ich glaube nicht. Ich glaube, das Wichtigste ist, sich selbst zu verwirklichen. Wenn man das schafft, dann gelangt man zu einer Art Erfüllung, in der die beiden Ichs eins werden, eins mit dem anderen verschmilzt und Teil des All-Einen wird und zu ihm beiträgt. Was das allerdings ist, kann ich nicht sagen — trotzdem. Ich fange an, seine Umrisse zu erkennen, seine Herrlichkeit, und ich glaube, wenn ich meinen einmal eingeschlagenen Weg weiterverfolge,
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