Die erste Todsuende
Lipsky und all den anderen, sich abrackernden, geschlagenen Menschenkörpern.
So streifte Daniel Blank umher. Den langweiligen Winterhimmel angrinsend, entschlossen, hinter das Geheimnis des Lebens zu kommen.
An diesem bestimmten Abend hatte er seinen schlanken Körper gebadet, eingeölt und mit wohlriechenden Essenzen besprüht, gemächlich und sorgsam den schwarzen Anzug angezogen, einen schwarzen Rollkragenpulli, die Kreppsohlenschuhe, den Mantel mit den Taschenschlitzen, unter dem verborgen, die Schlaufe um das linke Handgelenk, er den Eispickel trug. In aller Ruhe machte er sich auf die Suche nach seinem dämonischen Geliebten. Seit dem Mord an Detective Third Grade Roger Kope waren elf Tage vergangen.
Es war zunehmend schwieriger geworden, darüber war er sich klar. Seit dem Tod des Kriminalbeamten patrouillierten in den Straßen nicht nur in Zivil gekleidete Lockvögel, sondern es waren zusätzlich auch noch Polizeistreifen in Uniform und immer zu zweit unterwegs, wachsam und keineswegs lasch, nach dem, was Kope zugestoßen war. Dazu kam ein offensichtlich verstärkter Einsatz von Streifenwagen in der Gegend, und Daniel Blank nahm an, daß darüber hinaus weitere - unauffällige - Polizeifahrzeuge durch die Straßen fuhren.
Unter diesen Umständen wäre es gerechtfertigt gewesen, wenn er sich ein anderes Jagdrevier ausgesucht hätte, vielleicht sogar eine andere Stadt. Aber die Herausforderung galt ihm mehr als das Risiko.
Die Lösung lag vielleicht, so überlegte er, im Zeitfaktor. Bisher hatte er immer um Mitternacht zugeschlagen, etwa in der Zeit zwischen halb zwölf und halb eins. Der Polizei war das selbstverständlich bekannt, und es war allen Beamten eingeimpft worden, in dieser Zeit besonders wachsam zu sein. Möglich, daß ihre Aufmerksamkeit vor und nach diesem Zeitpunkt weniger groß war. Er mußte sich jeden denkbaren Vorteil zunutze machen.
Er entschloß sich, vor halb zwölf zu handeln. Es war die Zeit der Weihnachtseinkäufe. Gegen sieben Uhr abends war es bereits dunkel, doch die Geschäfte hatten bis neun geöffnet, und auch um zehn Uhr sah man noch Leute mit Päckchen und Paketen beladen heimwärts streben. Ja, vor Mitternacht war besser: irgendwann zwischen neun und halb elf. Nach halb eins waren die Straßen bis auf die Lockvögel und Polizeistreifen fast wie ausgestorben.
Er brauchte noch eine Tarnung, und nach einiger Überlegung hatte er ein Idee. Gestern abend war er auf dem Heimweg in der 42nd Street an einem Laden mit Weihnachtskarten, künstlichen Christbäumen, Baumschmuck, Geschenkpapier und Festschmuck vorbeigekommen.
Dort kaufte er zwei Kartons, einen in der Größe einer Schuhschachtel, der zweite flach und länglich, wie man ihn für Krawatten oder Handschuhe benutzt, ferner eine Rolle Weinachtspapier - auf rotem Grund von Rentieren gezogene Schlitten mit dem Nikolaus darauf - und ein Päckchen Aufkleber und ein Knäuel rotes Band.
Zu Hause richtete er die beiden leeren Schachteln zu Weihnachtspäckchen her, wickelte sie säuberlich in das Nikolauspapier, umschnürte sie mit dem roten Band und machte sogar noch eine hübsche Schleife. Als er fertig war, sah es wirklich nach zwei besonders nett verpackten Weihnachtspaketen aus. Er wollte sie am Tatort zurücklassen; die Chance, daß man ihre Spur bis zu ihm zurückverfolgen könnte, hielt er für minimal. Alles Papier, das er nicht verbraucht hatte, auch die Aufkleber und das Band, stopfte er in den Abfalleimer, den er in den Müllschlucker draußen am Ende des Korridors entleerte.
Wie erwartet, blickte der Pförtner am nächsten Abend — es war nicht Charles Lipsky - kaum auf, als Daniel Blank mit seinen beiden leeren Weihnachtspaketen das Haus verließ. Aber selbst wenn er ihn bemerkt hätte? Daniel Blank war auf dem Weg zu Freunden, denen er lustig verpackte Päckchen mitbrachte. Wunderschön !
Sein listiges Vorgehen und die vielen Menschen, die noch unterwegs waren, um Einkäufe zu machen, versetzten ihn in derart gehobene Stimmung, daß er beschloß, zur 3rd Avenue hinüberzugehen und im Papagei in aller Ruhe etwas zu trinken und ein bißchen die Zeit totzuschlagen. „Zeit totschlagen." Er gluckste, unter dem Mantel den Eispickel, in der Rechten die Weihnachtspakete.
Im Papagei war es fast leer. Nur ein Gast saß an der Bar, ein Mann in mittleren Jahren, der mit sich selbst redete und heftig gestikulierte. Der einzige Kellner saß an einem Tisch im Hintergrund und las ein erbauliches Traktat. Der Bartender
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