Die erste Todsuende
füllte einen Wettschein aus. Diese beiden hatten auch an dem Abend vor einem Jahr Dienst gehabt, als er sich mit dem Homosexuellen geprügelt hatte. Beide blickten auf, als er eintrat, aber Blank las kein Erkennen in ihren Augen.
Er bestellte einen Kognak und fragte den Bartender, ob er ein Glas mittrinken wolle.
„Vielen Dank", sagte der Mann mit einem kalten Lächeln. „Nicht während der Arbeit."
„Ruhig heute abend. Alle Welt scheint noch Weihnachtseinkäufe zu machen."
„Nein, das ist nicht der Grund", sagte der Mann und lehnte sich vor. „Sonst ist es hier in der Vorweihnachtszeit, wenn die Geschäfte dichtmachen, immer proppenvoll. Dieses Jahr kein Schwanz. Und warum nicht?"
„Warum?"
„Wegen diesem Wahnsinnskiller, der umgeht", sagte der Mann wütend. „Wer traut sich denn nach Einbruch der Dunkelheit noch auf die Straße? Hoffentlich kriegen sie den Kerl bald zu fassen und schneiden ihm die Eier ab. Das Schwein ruiniert uns das ganze Geschäft!"
Blank nickte voller Mitgefühl und bezahlte. Den Eispickel trug er noch immer unterm Mantel. Obgleich es im Raum recht warm war, saß er in Mantel und Handschuhen an der Bar und trank genußvoll seinen Kognak. Die Weihnachtspakete hatte er neben sich auf die Theke gelegt. Es war ruhig und erholsam. Und in gewisser Weise ganz amüsant zu erfahren, daß das, was er getan hatte, Auswirkungen auf so viele Menschen hatte. Ein in einen Teich geworfener Stein: Die Kreise dehnen sich immer weiter aus.
Er trank nur diesen einen Kognak, gab ein bescheidenes Trinkgeld und verließ mit seinen Paketen das Lokal. An der Tür drehte er sich noch einmal um, doch niemand blickte ihm nach. Insgeheim lachte er; es war alles ein Kinderspiel. Kein Mensch kümmerte sich um ihn.
Die Menge der Einkaufslustigen lichtete sich allmählich; wer noch unterwegs war, lenkte die Schritte eilends heimwärts, mit Paketen unterm Arm oder Einkaufstaschen schwenkend. Blank ahmte ihr Verhalten nach: Die beiden Weihnachtspakete unterm Arm, stemmte er sich mit Kopf und Schultern gegen den grausamen Wind. Seine Augen waren überall. Wenn er sein Vorhaben nicht bis elf Uhr hinter sich bringen konnte, würde er es aufgeben und es an einem anderen Abend versuchen, dazu war er fest entschlossen.
Eine gute Gelegenheit entging ihm, als der Betreffende plötzlich die Treppe zu einem Hauseingang hochsprang und verschwunden war, während Daniel Blank gerade sein Lächeln aufsetzen wollte. Ein anderer blieb stehen und unterhielt sich mit dem Pförtner eines Wohnhauses. Ein dritter sah zunächst recht vielversprechend aus, aber bei näherem Hinsehen doch mehr wie ein Lockvogel der Polizei. Eine weitere Möglichkeit verpaßte er, weil unerwartet eine Polizeistreife um die Ecke bog und auf Blank zugeschlendert kam.
Er war entschlossen, sich nicht frustrieren zu lassen, und versuchte, seinen Ärger zu beherrschen. Trotzdem... was taten sie ihm eigentlich an? Er zog die linke Hand weit genug aus der Manteltasche, um im Licht einer Straßenlaterne einen Blick auf seine Armbanduhr werfen zu können. Gleich halb elf. Viel Zeit blieb nicht mehr. Dann würde er es aufgeben und auf einen anderen Abend hoffen müssen. Aber er konnte es nicht. Konnte es einfach nicht. Das Fieber war ihm ins Blut geschossen. Es mußte sein! Das Glück war ihm ja hold. Er hatte eine Glückssträhne zu fassen. Und eine Glückssträhne soll man nie fahrenlassen.
Und so war es. Denn vor ihm - unglaublich, herrlich, frei von lauernden Wagen und Polizeistreifen - war die Straße leer und nur schwach erleuchtet. Rasch kam mit großen Schritten ein Mann auf ihn zu, unterm Arm eine Rolle Weihnachtspapier. Und im Knopfloch seines Tweedmantels eine kleine Rose. Würde ein Lockvogel Weihnachtspapier tragen? Und eine Rose im Knopfloch? Unwahrscheinlich, fand Daniel Blank. Er setzte sein Lächeln auf.
Der Geliebte ging unter einer Straßenlaterne durch. Blank sah, daß er jung war, schlank, einen Schnurrbart trug, sich aufrecht hielt, zuversichtlich war und - wirklich — ziemlich schön. Noch ein Daniel Blank.
„Guten Abend", rief Daniel, einen Schritt von ihm entfernt, lächelnd.
„Guten Abend", erwiderte der Mann den Gruß und lächelte.
Im selben Augenblick, als sie aneinander vorüber gingen, wechselte Blank den Eispickel und setzte zum Herumfahren an. Während er noch dabei war, wurde ihm bewußt, daß sein Opfer plötzlich auch stehengeblieben war und seinerseits zu einer Kehrtwendung ansetzte. Ein vages Gefühl der
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