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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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diesem Gespräch - zum Teil auch wegen der Dinge, die seither passiert sind - habe ich noch öfter über das nachgedacht, was ich gesagt habe und was sie gesagt hat. Und dabei bin ich zu dem Schluß gekommen, daß unsere Meinungen gar nicht so weit auseinandergehen — zwei Seiten derselben Münze, wenn Sie so wollen. Sehen Sie, ich bin zur Polizei gegangen, weil dem Leben eine Logik innewohnt oder zumindest innewohnen sollte. Und diese Logik ist sowohl geordnet als auch schön, wie jede gute Logik. Folglich hatte ich recht, und meine Frau auch. Und ich möchte, daß diese Logik bleibt. Es ist die schlichte Logik von der natürlichen Geburt, vom natürlichen Leben und natürlichen Sterben. Es geht um die Sterblichkeit eines jeden von uns und um die Unsterblichkeit von uns allen. Es geht um das So-Weitergehen. Das ist die Logik, die dem Leben des einzelnen innewohnt, der Familie, allen Menschen auf der ganzen Welt, genauso wie allen belebten und unbelebten Dingen. Alles, was den Rhythmus dieser Logik unterbricht - denn jede gute Logik vollzieht sich nach einem wunderbaren Rhythmus, wissen Sie - , alles, was diesen Rhythmus unterbricht, ist böse. Dazu gehören Grausamkeit, Verbrechen und Krieg. Was die Grausamkeit in anderen Menschen betrifft, bin ich ziemlich machtlos; so manche grausame Handlung ist zwar unmoralisch, verstößt aber nicht gegen das Gesetz. Eigentlich kann ich mich nur gegen die Grausamkeit in mir selbst wappnen. Gegen den Krieg kann ich auch nicht viel ausrichten. Wohl aber gegen das Verbrechen. Viel vielleicht nicht, das gebe ich zu, aber immerhin etwas. Denn das Verbrechen, jedes Verbrechen, widerspricht der Vernunft, ist irrational. Es stellt sich der Logik des Lebens entgegen und ist damit böse. Und das ist, glaube ich, der Grund, warum ich Polizist geworden bin."

    „Mein Gott!" rief Handry. „Das ist phantastisch! Das muß ich verwerten. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich Ihren Namen nicht nennen werde."
    „Bitte, tun Sie das wirklich nicht", sagte Delaney und bedauerte bereits, was er gesagt hatte. „Das würde ich nie überleben."
    Vor der Wache verabschiedete sich Handry von ihm. Delaney stieg langsam zu seinem Dienstzimmer hinauf, um seine „Streifenausrüstung" wegzulegen. Dann ließ er sich auf den abgenutzten Drehstuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Ob er wohl je wieder richtig schlafen würde?
    Er schämte sich, wie er es immer tat, wenn er zuviel geredet hatte. Und noch dazu solchen Unsinn! „Logik... Rhythmus... Unsterblichkeit... böse." Selbstverständlich hatte er nur seiner Eitelkeit schmeicheln und sich in den Augen eines jungen Reporters den Anstrich geben wollen, jemand zu sein, der „tiefsinnige Gedanken" hegte. Was jedoch hatte dies ganze Bla-bla damit zu tun, wieviel die Bohnen kosteten?
    All das war hübsche Poesie; die Wirklichkeit hingegen, das war eine verängstigte Frau, die nie in ihrem Leben einem Menschen etwas zuleide getan hatte und jetzt in einem Krankenhausbett lag und sich über das härmte, was auf sie zukam. Es gab Tiere, unsichtbare, die tief in ihr nagten, und bald würde ihre Welt aus Blut, Erbrochenem, Eiter und Kot bestehen. Vergiß das nicht, Edward! Und Tränen.
    „Besser sie als ich", dieser Gedanke schoß ihm unversehens durch den Kopf und erfüllte ihn mit Abscheu vor sich selbst. Er war dermaßen wütend darüber, daß er solcher Gedanken fähig war, daß er laut aufstöhnte und mit geballter Faust auf den Tisch hieb. Ach, eine reine Freude war das Leben wahrhaftig nicht; man plagte sich redlich damit, doch Erfolg war einem nicht oft beschieden.

9
    Er saß im Krankenzimmer seiner Frau. Das grelle Licht der Sonne ließ sein Profil klar hervortreten. Barbara Delaney gewahrte trotz ihrer Benommenheit, daß seine Züge durch das Erlebnis der Gewalttätigkeit und die Verantwortung hart geworden waren. Sie erinnerte sich an den munteren Polizisten, der ihr mit Veilchensträußen und - einmal - einem schauderhaften Gedicht den Hof gemacht hatte.
    Zerstört hatten die Jahre und die Pflichterfüllung ihn nicht, wohl aber durch Druck das ganz Persönliche aus ihm hervorgeholt, ihn mehr er selbst werden lassen. Er redete von Jahr zu Jahr weniger, lachte weniger häufig und zog sich in irgendeine eiserne Mitte zurück, die nur ihm gehörte; dazu hatte sie keinen Zugang.
    Er war immer noch ein gutaussehender Mann, fand sie anerkennend; er hielt sich gerade, achtete auf sein Gewicht und rauchte und trank nicht übermäßig. Doch jetzt hatte er etwas

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