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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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dunkelhäutigen jungen Puertoricanerin mit Glutaugen, energischen Bewegungen und einer harten Art zu reden. Sie notierte die Namen der Anwesenden und warum sie warteten. Die Illustrierten auf den Tischen legte sie säuberlich aufeinander und leerte die Aschenbecher. Dann versprühte sie Frischluft aus der Dose und öffnete ein Fenster. Allmählich wurde es kühler im Raum; Delaney hätte sie küssen mögen.
    Der Name des jungen Mannes mit dem leeren Gesicht wurde aufgerufen; er schlurfte mit hängenden Schultern hinaus und starrte dabei an die Decke. Die ältere Frau im Nerzmantel stand plötzlich auf, zog den Mantel fest um sich, stieß die Tür auf und eilte hinaus, ohne der Schwester ein Wort zu sagen. Das betagte italienische Ehepaar saß immer noch geduldig in der Ecke und weinte still vor sich hin.
    Endlich gestattete Delaney sich, einen Blick auf die Uhr an der Wand zu werfen. Es war erschreckend spät, und er fragte die Schwester nach seiner Frau. Sie wählte, erkundigte sich, lauschte und legte wieder auf.
    „Ihre Frau ist auf der Station für frisch Operierte."
    „Vielen Dank. Können Sie mir sagen, wo Dr. Spencer ist? Ich möchte mit ihm sprechen."
    „Das hätten Sie mir gleich sagen sollen. Jetzt muß ich noch einmal anrufen."
    Er ließ sich herunterputzen. „Tut mir leid", sagte er.
    Sie rief an, fragte und legte wieder auf.
    „Dr. Spencer operiert und ist nicht zu sprechen."
    „Und wie steht es mit Dr. Bernardi?" fragte er hartnäckig und ließ sich von ihren wütend blitzenden Augen nicht einschüchtern.
    Abermals wählte sie, erkundigte sich, redete bissig auf die Person am anderen Ende der Leitung ein und drückte dann die Gabel heftig nieder.
    „Dr. Bernardi hat das Krankenhaus bereits verlassen."
    „Was? Wie bitte? Was?"
    „Dr. Bernardi hat das Krankenhaus bereits verlassen."
    „Aber er..."
    In diesem Augenblick schwenkte die Wartezimmertür auf und knallte gegen die Wand. Wenn er später daran zurückdachte, kam es Delaney immer so vor, als ob in diesem Augenblick die Nacht explodierte und alles außer Rand und Band geriet.
    Es war die Frau im Nerzmantel, die puterrot hereingestürmt kam.
    „Sie bringen ihn um!" kreischte sie. „Sie bringen ihn um!"
    Die kleine Schwester kam hinter ihrem Schreibtisch hervor und streckte die Hand nach der völlig aufgelösten Frau aus. Die Matrone hob einen pelzgewandeten Arm und schlug sie damit zu Boden wie mit einer Keule.
    Die anderen Anwesenden blickten fassungslos, erschrocken, voller Angst. Delaney war sofort auf den Beinen.
    Die Schwester rappelte sich hoch und machte, daß sie zur Tür hinauskam.
    Delaney näherte sich sehr bedächtig der hysterischen Frau.
    „O ja", sagte er mit tiefer Stimme betont langsam. „Man bringt ihn um. Jaja." Er nickte.
    Die Frau wandte sich ihm zu. „Sie bringen ihn um", wiederholte sie, kreischte diesmal jedoch nicht, sondern zupfte an der schlaffen Haut unter ihrem Kinn.
    „Ja." Delaney nickte immer noch. „Jaja."
    Er, der es sich strikt zur Regel gemacht hatte, nie einen Fremden anzufassen, wußte aus Erfahrung, wie wichtig körperlicher Kontakt zu Menschen ist, die im Begriff sind, außer sich zu geraten.
    „Jaja", wiederholte er immer wieder und nickte zustimmend, ohne sich auch nur das leiseste Lächeln zu gestatten. „Ich verstehe Sie. Jaja."
    Behutsam legte er ihr versuchsweise die Hand auf den pelzbedeckten Arm. Sie betrachtete die Hand auf ihrem Arm, schüttelte sie jedoch nicht ab.
    „Jaja." Er nickte. „Erzählen Sie es mir! Ich möchte alles wissen. Erzählen Sie, ganz von Anfang an. Ich möchte alles hören."
    Jetzt hatte er ihr den Arm um die Schulter gelegt, und sie lehnte sich an ihn. Dann kamen ein Assistenzarzt und ein Pfleger in weißen Kitteln durch die aufgestoßene Tür. Die Schwester, die völlig außer sich war, folgte ihnen. Delaney, der die Frau langsam zu einer Bank führte, gab ihnen mit der freien Hand zu verstehen, sie sollten gehen. Der Assistenzarzt war so vernünftig, stehenzubleiben und die anderen zurückzuhalten. Das betagte italienische Ehepaar bekam den Mund nicht mehr zu.
    „Sie bringen ihn um!" kreischte die Frau von neuem.
    „Ja", sagte er, nickte und nahm sie fester in den Arm. „Erzählen Sie von Anfang an. Ich will alles wissen."
    Den Arm noch immer um ihre Schulter gelegt, brachte er sie dazu, daß sie auf der plastikbezogenen Bank Platz nahm. Der Assistenzarzt und der Pfleger sowie die Krankenschwester sahen nervös zu, kamen jedoch nicht

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