Die erste Todsuende
nochmals durchwühlt. Laßt keine Ecke und keine Toreinfahrt aus, und leuchtet in jeden Gully. Es handelt sich hier um eine erste Untersuchung. Morgen werden wir ein paar Kanalarbeiter und Abwässerspezialisten zuziehen, die Siele und Schachtdeckel aufmachen und im Schlamm rumstochern. Wir suchen nach allem, was wie eine Waffe aussieht. Könnte 'ne Kanone sein, aber auch 'n Messer. Höchstwahrscheinlich ist es ein Schlagwerkzeug, ein Stück Rohr, eine Eisenstange, ein Hammer, vielleicht ist es auch ein Stein mit verklebtem Blut und ein paar Haaren dran. Überhaupt will ich alles sehen, wo Blut dran ist, ob es nun ein Hut ist, ein Kleidungsstück, ein Taschentuch oder vielleicht auch nur ein alter Lappen. In Zweifelsfällen ruft mich. Alles verstanden? Schön, dann macht euch auf die Socken."
Delaney sah zu, wie die Lichtkegel der Taschenlampen von der Stelle, wo das Blut im Morgendunst noch glänzte, nach allen Richtungen wanderten. Er wußte, daß dies getan werden mußte, aber er beneidete die Männer nicht um ihre Aufgabe. Durchaus möglich, daß sie etwas fanden. Aber er wußte auch, daß sie auf Müll stoßen würden, bei dem sich einem der Magen umdrehte: Erbrochenes, eine tote Katze, vielleicht sogar der blutige Fötus eines abgetriebenen Babys. Unversehens ging ihm auf, daß die Müdigkeit von ihm abgefallen war; vielleicht war er aber auch nur so erschöpft, daß er überhaupt nichts mehr fühlte. Er verschränkte die Hände im Rücken und schlenderte zum Fluß hinunter. Dort drehte er sich um, wendete sich der York Avenue zu und überlegte, wie sich der Mord wohl abgespielt haben könnte.
Lombards Leiche war auf halbem Weg zwischen der York Avenue und dem Fluß auf dem Bürgersteig gefunden worden. Hatte er wirklich bei seiner Mutter zu Abend gegessen, war anzunehmen, daß sie irgendwo zwischen dem Fluß und dem Fundort der Leiche wohnte. Lombard war Richtung York Avenue gegangen. War er auf dem Weg zu einer Bushaltestelle, einer U-Bahn-Station oder zu seinem geparkten Wagen gewesen?
Bedächtig vorwärtsschreitend, inspizierte Delaney die Gebäude zwischen dem Fluß und der Stelle, wo man die Leiche gefunden hatte. Die Haustüren der umgebauten Reihenhäuser lagen drei, vier Stufen unterhalb des Bürgersteiges hinter bewachsenen Vorgärten, die einem zusammengekauerten Mörder hätten Deckung gewähren können. Aber auch das wollte Delaney nicht einleuchten. Kein Mörder, selbst wenn er sehr behende war und Schuhe mit Kreppsohlen trug, konnte geräuschlos aus einem solchen Versteck hervorbrechen, drei oder vier Stufen hinaufrasen und sein Opfer von hinten anfallen. Lombard hätte sich bestimmt nach seinem Angreifer umgedreht, hätte vielleicht einen Arm schützend hochgehalten oder versucht zu fliehen. Offensichtlich war er jedoch völlig überraschend und ohne jede Warnung niedergestreckt worden.
Langsam weitergehend, musterte Delaney die Häuserfronten auf der anderen Straßenseite. Es war möglich, das mußte er zugeben, daß der Mörder in einem der Hausflure gewartet hatte, bis Lombard vorübergekommen war, dann auf den Bürgersteig hinausgetreten und ihm nachgegangen war. Doch auch in diesem Fall hätte Lombard gewiß etwas gehört oder gespürt, daß er verfolgt wurde. Und jemand wie Lombard, der Tag und Nacht von nichts anderem redete als von der zunehmenden Kriminalität, würde der sich in dieser Gegend zu mitternächtlicher Stunde von jemand verfolgen lassen?
Bei all diesem Theoretisieren ging er selbstverständlich davon aus, daß Lombard das erkorene Opfer war, daß der Mörder ihm gefolgt war oder zumindest geahnt hatte, daß er um diese Zeit durch diese ganz bestimmte Straße kommen würde. Was Delaney im Augenblick jedoch besonders beschäftigte, waren die Schnelligkeit des Überfalls und der volle Erfolg, den der Mörder damit gehabt hatte. Er ging noch einmal zum Fluß zurück, machte kehrt und schickte sich an, Richtung York Avenue zu gehen.
Eine weitere Möglichkeit, so überlegte Delaney, war, daß der Mörder neben Lombard hergegangen war, daß die beiden miteinander bekannt waren. Aber konnte der Mörder die Waffe ziehen, hinter sein Opfer treten und es niederschlagen, ohne daß Lombard sich erschreckt umgedreht, dem Schlag auszuweichen oder ihn abzuwehren versucht hätte?
Besonders frappierten ihn die Plötzlichkeit des Überfalls sowie der Umstand, daß Lombard, ein großer, muskulöser Mann, offenbar überhaupt keinen Widerstand geleistet, vielmehr seinen Mörder von hinten
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