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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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bemerkte außerdem, daß einer der Wagen ein drei Jahre alter Plymouth war, der das leicht angerostete, leicht verstaubte, unverfängliche Aussehen eines nicht besonders gekennzeichneten Polizeiautos hatte. Zwei Männer in Zivil saßen auf den Vordersitzen, Delaney fand es richtig, daß man zum Schutz der Witwe Lombard eine Wache vor dem Haus postiert hatte. Sehr gut möglich, dachte er, daß auch innen im Hause noch jemand stationiert war; dafür würde Pauley schon sorgen. Die Frage lautete: Wenn Delaney seine Absicht verwirklichte, die Witwe auszufragen, würde dann wohl einer der Polizisten ihn erkennen und Broughton berichten, er habe Captain Delaney hier gesehen?
    Delaney legte sich eine Ausrede zurecht. Erkannte die Wache ihn und nahm Broughton ihn womöglich in die Zange, würde er erklären, da der Mord in seinem Revier passiert sei, habe er es für seine Pflicht gehalten, der Witwe sein Beileid auszusprechen. Das würde Broughton ihm zwar nicht ganz abnehmen, doch das kümmerte ihn nicht: Er hielt es eben für seine Pflicht, ihr sein Beileid auszusprechen, und das würde er auch tun.
    Während er zur Haustür ging, hörte er laute Rock-Musik, kreischendes Gelächter, das Klirren zerspringenden Glases. Offenbar war eine Party im Gange,und zwar eine ausgelassene.
    Auf sein Klingeln öffnete ein allzu geschniegelter Mann mit stark gerötetem Gesicht, der nicht einen, sondern gleich zwei Ringe am kleinen Finger trug.
    „Nur herein, nur herein!" blubberte er und schwenkte sein Whiskyglas, so daß die Hälfte auf seinen maßgeschneiderten himmelblauen Seidenanzug schwappte. „Für einen mehr ist immer noch Platz."
    „Vielen Dank", sagte Delaney. „Ich bin kein Gast. Ich hätte nur Mrs. Lombard gern einen Augenblick gesprochen."
    „He, Clara!" schrie der Mann über die Schulter nach hinten. „Dein Typ wird verlangt. Ein Verehrer."
    Der Mann bedachte Delaney mit einem anzüglichen Seitenblick und mischte sich dann wieder unter die tanzende, trinkende, lachende und kreischende Gesellschaft. Der Captain wartete geduldig. Schließlich kam sie wankend auf ihn zugesegelt.
    Es handelte sich um eine saftige Blondine, die ihn an die Witwe denken ließ, „deren Haar vor Gram ganz golden geworden war", wie Oscar Wilde sagt. Sie quoll aus einem trägerlosen Cocktailkleid heraus, das so aussah, als ob es auch allein stehen könnte, dermaßen überladen war es mit Ziermünzen, geflochtenen Borten, einer glitzernden Brosche in Form eines Pfaus und - unerklärlich - einer billigen sternförmigen Anstecknadel aus Blech, auf der „Strumpfband-Inspekteur" stand. Mit triefenden Augen sah sie ihn an.
    „Mrs. Clara Lombard?"
    „Ja."
    „Mein Name ist Delaney. Captain Edward X. Delaney. Ich bin der Reviervorsteher des..."
    „Oh, Jesus", hauchte sie, „schon wieder 'n Bulle. Hab ich denn nicht schon genug Bullen hier gehabt?"
    „Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid zum Tode Ihres Mannes ausdrücken."
    „Fünf", sagte sie, „oder sechs. Ich komm schon nicht mehr mit. Was zum Teufel ist denn jetzt wieder? Können Sie denn nicht sehen, daß ich die Bude voll von Gästen hab! ? Werden Sie jetzt endlich aufhören, mich auszuquetschen?"
    „Ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir..."
    „Das Beileid können Sie sich an 'n Hut stecken", sagte sie voller Abscheu. „Ach, die Pest über Sie alle! Ich schmeiß 'ne Abschiedsparty. Ich verschwinde von hier, und ihr könnt mich mal alle!"
    „Sie verlassen New York?" fragte er, verwundert darüber, daß Broughton sie so ohne weiteres ziehen ließ.
    „Sie merken auch alles, Sie Klugscheißer. Ich hab das Haus verkauft, die Autos, die Möbel, alles. Und Sonnabend bin ich im sonnigen, wonnigen Miami und fang 'n neues Leben an. 'n brandneues Leben; und dann könnt ihr mich alle mal!"
    Sie drehte sich um und rauschte zurück zu ihrer Party. Delaney setzte den Hut auf und ging langsam bis zur Straßenecke. Er beobachtete den Verkehr und wartete darauf, daß die Ampeln umsprangen. Autos sausten vorüber, und jetzt war ihm plötzlich klar, was es war, das insgeheim so an ihm nagte, seit er die Berichte des Sonderstabes gelesen hatte. Er hatte gewußt, daß es kommen würde. Irgendwann.
    Mrs. Sophia Lombard, die Mutter des Opfers, hatte ausgesagt, ihr Sohn käme nie mit dem Auto aus Brooklyn, weil in der Nähe ihrer Wohnung kein Parkplatz zu finden sei; deshalb habe er immer die U-Bahn genommen.
    Delaney ging noch einmal zurück, und diesmal starrten die Wachen vor dem Haus ihn an.

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