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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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länger.
    „Herrgott, Edward", sagte Thorsen schließlich. „Das ist ungeheuerlich."
    „Ja, ungeheuerlich." Unwillkürlich mußte er an ein Sittlichkeitsverbrechen denken, das er bearbeitet hatte. Dabei waren dem Opfer die Augenlider mit den eigenen Haarnadeln zusammengesteckt worden.
    Thorsen ließ sich noch einmal vernehmen. „Edward, wollen Sie mir etwa weismachen, daß wir es mit einem Verrückten zu tun haben?"
    „Ja. Ich glaube es wenigstens. Jemand wie Whitman, Speck, Unruh, der Würger von Boston, Panzram, Manson. So jemand."
    „O Gott!"
    „Wenn ich recht habe, werden wir es bald wissen."
    „Woher sollen wir das erfahren?"
    „Er wird es noch einmal tun."

VIERTER TEIL

17
    Er dachte, sie habe ein lockerfallendes Kleid aus schwarzem Krepp mit weißen Manschetten an. Dann sah er, daß die weißen Manschetten in Wirklichkeit Binden um beide Handgelenke waren. Doch er brannte so sehr darauf, es ihr zu erzählen, daß er keine Fragen stellte; er wußte es auch so. Statt dessen hielt er ihr einfach Frank Lombards Führerschein vor die Augen. Ohne einen Blick darauf zu werfen, nahm sie ihn beim Arm und zog ihn langsam, Stufe um Stufe, zum Dachzimmer hinauf.
    „Ist nicht schlimm", beschwichtigte sie ihn, als er nicht konnte. „Ich verstehe doch... Glaub mir, ich verstehe es und liebe dich dafür. Ich habe dir gesagt, Sex sollte ein Ritual sein, eine Zeremonie. Ein Ritual aber kennt keinen realen Vollzug. Im Ritual wird der Vollzug zelebriert. Verstehst du? Das Ritual feiert den Höhepunkt, schließt ihn aber nicht ein. Ist nicht schlimm, mein Liebling. Glaub nicht, du hättest versagt. Es gibt nichts Schöneres, als daß du und ich die Erfüllung verehren - das unaufhörliche Zelebrieren einer jenseits aller menschlichen Erkenntnis liegenden Finalität. Ist es das nicht, worum es beim Gebet im Grunde geht?"
    Aber er hörte ihr nicht zu, so stark war das Bedürfnis zu reden. Er knipste das grausame Deckenlicht an und zeigte ihr den Führerschein und die Schlagzeilen in den Zeitungen als Beweis.
    „Für dich", sagte er. „Ich habe es für dich getan." Dann lachten sie beide - und wußten, daß es eine Lüge war.
    „Erzähl mir alles", sagte sie. „Jede Einzelheit. Ich möchte alles wissen, was geschehen ist."
    Sein weicher Hodensack lag schlaff in ihrer Hand: ein toter Vogel.
    Stolz berichtete er ihr von der sorgfältigen Planung, den langen Stunden unermüdlichen Nachdenkens. Seine erste Überlegung, so sagte er, habe der Waffe gegolten.
    „Sollte es eine Waffe sein, die man wegwerfen konnte?" fragte er rhetorisch. „Ich kam zu dem Schluß, daß das nicht gut wäre - von einer zurückgelassenen Waffe konnte möglicherweise eine Spur zu mir führen. Ich wählte also eine Waffe, die ich mit zurücknehmen würde."
    „Um sie abermals zu gebrauchen", murmelte sie.
    „Ja. Vielleicht. Nun... ich erzählte dir schon, daß ich Bergsteiger bin; kein professioneller, lediglich ein Amateur. Aber ich habe diesen Eispickel. Natürlich stellt er ein Werkzeug dar, gleichzeitig aber auch eine gefährliche Waffe. Ganz und gar aus gehärtetem Stahl. Auf der einen Seite einen Hammerkopf zum Einschlagen der Fels- oder Mauerhaken, und auf der anderen Seite eine gekrümmte Spitze. Es gibt zahlreiche verschiedene Ausführungen. Außerdem hat er einen lederumwickelten Stiel, an dem eine geflochtene Lederschlaufe hängt. Schwer genug, um jemanden damit zu töten, andererseits leicht und handlich genug, daß man ihn unauffällig mit sich herumtragen kann. Du kennst doch den Mantel mit den Schlitzen in den Taschen, den ich habe?"
    „Und ob ich den kenne!" Sie lächelte.
    „Ja." Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich sagte mir, diesen Mantel könnte ich tragen, nicht zugeknöpft, nur gerade herunterhängend. Die linke Hand würde ich durch den Schlitz stecken und mit ihr den Eispickel an der Schlaufe tragen - ihn an den Fingern baumeln lassen und doch völlig unsichtbar. Wenn der Augenblick kam, da ich ihn brauchte, konnte ich mit der rechten Hand unter dem offenen Mantel nach dem Eispickel greifen und ihn am Stiel packen."
    „Brillant!" sagte sie.
    „Ein Problem." Er zuckte mit den Schultern. „Ich probierte es aus. Ich übte. Es klappte vorzüglich. Wenn ich kühl und gelassen blieb, ganz ruhig, konnte ich den Pickel in Sekundenschnelle in meine Rechte befördern. In Sekundenschnelle. Länger als ein oder zwei Sekunden brauchte ich nicht dazu. Und hinterher würde der Eispickel dann wieder unter meinem Mantel verschwinden,

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