Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
erschienen ihr plötzlich riesengroß. Wie wandelnde Bäume, gestand sich Miss Carnaby ehrfürchtig. Sie hob die Hand. Es war eine sinnvolle Geste – mit ihr konnte sie der Welt gebieten. Cäsar, Alexander, Napoleon – armselige kleine Kerle! Ihre Macht war nichts, verglichen mit dem, was sie, Amy Carnaby, vollbringen konnte! Morgen würde sie Weltfrieden und allgemeine Verbrüderung anordnen. Es sollte keine Kriege mehr geben – keine Armut – keine Krankheiten. Sie, Amy Carnaby, würde eine neue Welt erschaffen.
Aber ohne Hast. Die Zeit war unendlich…
Minute folgte auf Minute, Stunde auf Stunde. Miss Carnabys Glieder waren schwer, aber ihre Seele war wunderbar leicht. Sie konnte, wenn sie wollte, das ganze Weltall durchstreifen. Sie schlief, aber sogar im Schlaf träumte sie von unendlichen Weiten, von großen Räumen, von einer neuen, wunderbaren Welt…
Nach und nach schrumpfte die Welt zusammen. Miss Carnaby gähnte. Sie streckte ihre steifen Glieder. Was war seit gestern geschehen? Vorige Nacht hatte sie geträumt…
Der Mond schien. Bei seinem Licht konnte sie gerade die Zeiger ihrer Uhr unterscheiden. Zu ihrer Verblüffung zeigten sie auf ein Viertel vor zehn. Die Sonne, das wusste sie, war um acht Uhr zehn untergegangen. Vor einer Stunde und fünfunddreißig Minuten? Unmöglich. Und doch –
»Sehr interessant«, murmelte Miss Carnaby.
»Sie müssen sich an meine Instruktionen halten, verstehen Sie?«, sagte Hercule Poirot eindringlich.
»Oh, gewiss, Monsieur Poirot, Sie können sich auf mich verlassen.«
»Haben Sie von Ihrer Absicht gesprochen, der Sekte etwas zu vermachen?«
»Ja, Monsieur Poirot, ich habe mit dem Großen Hirten – Pardon, mit Dr. Anderson – gesprochen. Ich habe ihm sehr ergriffen gesagt, welch wunderbare Offenbarung die Sache für mich war – wie ich gekommen war, um zu höhnen, und bekehrt wurde. Ich – es kam mir ganz natürlich vor, alle diese Dinge zu bekennen. Sie müssen wissen, Dr. Anderson hat eine unglaublich große Anziehungskraft.«
»Das sehe ich«, grunzte Poirot trocken.
»Er sprach sehr überzeugend. Man hat wirklich das Gefühl, dass ihm an Geld nichts gelegen ist. ›Geben Sie, was Sie können‹, sagte er mit seinem bezaubernden Lächeln, ›und wenn Sie nichts geben können, so macht es auch nichts.‹ – ›Oh, Dr. Anderson, so schlecht dran bin ich nicht. Ich habe jüngst eine beträchtliche Summe von einer entfernten Verwandten geerbt, und obwohl ich über das Geld nicht verfügen kann, ehe die gesetzlichen Formalitäten erledigt sind, will ich eines sofort machen.‹ Und dann erklärte ich ihm, dass ich im Begriff sei, ein Testament zu machen, um mein ganzes Vermögen der Bruderschaft zu hinterlassen. Ich erklärte ihm, dass ich keine nahen Verwandten hätte.«
»Und er nahm das Vermächtnis gnädig an?«
»Er nahm es mit großem Gleichmut auf. Er sagte, vor meinem Hinscheiden würden noch viele Jahre vergehen, und er könne mir versichern, dass ich zu einem langen Leben der Freude und geistigen Erfüllung ausersehen sei. Er spricht wirklich sehr rührend.«
»Es scheint so.«
Poirots Ton war trocken, als er fortfuhr:
»Haben Sie Ihre Gesundheit erwähnt?«
»Ja, Monsieur Poirot. Ich sagte ihm, dass ich lungenleidend sei und mehrere Rezidiven hatte, aber dass eine Behandlung in einem Sanatorium vor einigen Jahren mich schließlich geheilt habe – endgültig, wie ich hoffte.«
»Ausgezeichnet!«
»Aber warum ich sagen musste, dass ich schwindsüchtig bin, wenn meine Lungen kerngesund sind, geht über meinen Verstand.«
»Seien Sie versichert, dass es sein musste. Haben Sie von Ihrer Freundin gesprochen?«
»Ja, ich sagte ihm – streng vertraulich –, dass Emmeline außer dem Vermögen, das sie von ihrem Gatten geerbt hat, demnächst eine noch größere Erbschaft von einer Tante zu gewärtigen habe, deren Lieblingsnichte sie sei.«
»Eh bien, das sollte Mrs Clegg vorläufig schützen!«
»Oh, Monsieur Poirot, glauben Sie wirklich, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht?«
»Das bemühe ich mich eben herauszufinden. Haben Sie in Green Hills einen Mr Cole getroffen?«
»Ja, das letzte Mal, als ich dort war. Ein äußerst sonderbarer Mensch. Er trägt grasgrüne Shorts und isst nur Kohl. Er ist ein fanatischer Anhänger.«
»Eh bien, alles geht vorwärts – ich mache Ihnen mein Kompliment über die Arbeit, die Sie geleistet haben, alles ist jetzt auf die Herbstfeier eingestellt.«
»Miss Carnaby – nur einen
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