Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
lang dachte ich, es sei Ihr Ernst.«
»Es war ein solcher Schock«, erklärte Miss Carnaby. »Gerade als wir vertraulich gesprochen hatten, sah ich im Spiegel, dass Lippscomb, der Pförtner von Green Hills, an einem Tisch hinter mir saß. Ich weiß bis heute nicht, ob es ein Zufall war oder ob er mir tatsächlich gefolgt ist. Auf jeden Fall musste ich geistesgegenwärtig sein und darauf bauen, dass Sie mich verstehen würden.«
Poirot lächelte.
»Ich verstand es. Es saß nur ein Mensch nahe genug, um etwas von unserem Gespräch zu hören, und kaum hatte ich die Konditorei verlassen, gab ich den Auftrag, ihn beim Herauskommen zu beobachten. Als ich erfuhr, dass er geradewegs nach Green Hills zurückgegangen war, wusste ich, dass ich mich auf Sie verlassen konnte und dass Sie mich nicht im Stich lassen würden; aber ich war besorgt, weil es die Gefahr für Sie erhöhte.«
»War – bestand tatsächlich eine Gefahr? Was war in der Spritze?«
»Wollen Sie es erklären, oder soll ich es tun?«, unterbrach Japp den Dialog.
Poirot sagte ernst:
»Mademoiselle, dieser Dr. Anderson hatte ein ausgeklügeltes System der Ausbeutung und des Mordes ausgearbeitet – des wissenschaftlichen Mordes. Er hat den größten Teil seines Lebens mit bakteriologischen Forschungen verbracht. Er hat unter einem anderen Namen ein chemisches Laboratorium in Sheffield. Dort züchtet er Kulturen verschiedener Bakterien. Es gehörte zu seiner Methode, seinen Anhängern bei den Feiern eine kleine, aber wirksame Dosis von Cannabis Indica – auch als Haschisch bekannt – zu injizieren. Das erzeugt Größenwahnvorstellungen und Euphorie. Es fesselte seine Gläubigen an ihn. Das waren die geistigen Freuden, die er ihnen versprach.«
»Sehr eindrucksvoll«, bestätigte Miss Carnaby. »Wirklich ein unvergessliches Gefühl.«
Hercule Poirot nickte.
»Damit führte er unter anderem das Geschäft. Mit seiner dominierenden Persönlichkeit, der Fähigkeit, Massenhysterie zu erzeugen, und den Reaktionen dieses Rauschgiftes. Aber er hatte ein zweites Ziel im Auge.
Einsame Frauen machten in ihrer Dankbarkeit und Inbrunst Testamente zugunsten der Sekte. Diese Frauen starben eine nach der anderen. Sie starben in ihrem eigenen Heim und allem Anschein nach eines natürlichen Todes. Ohne mich in fachmännische Details zu verlieren, will ich versuchen, es zu erklären. Man kann von gewissen Bakterien intensivierte Kulturen züchten, zum Beispiel vom Kolibazillus, und sie lassen sich in den Organismus einführen, ebenso Pneumokokken und Typhusbakterien. Dann gibt es auch das so genannte Alte Tuberkulin, das für Gesunde völlig unschädlich ist, aber irgendeinen alten Herd wieder virulent macht. Begreifen Sie die tückische Schlauheit dieses Halunken? Diese Frauen starben in verschiedenen Teilen des Landes, von verschiedenen Ärzten behandelt und ohne das geringste Risiko eines Verdachtes. Er hat auch, wie ich hörte, eine Substanz gezüchtet, die die Fähigkeit hat, die Wirkung der angewendeten Bakterien zu verstärken oder aber hinauszuschieben.«
»Wenn es ein Ungeheuer gibt, so ist er es!«, sagte Oberinspektor Japp.
Poirot fuhr fort:
»Auf meinen Wunsch sagten Sie ihm, dass Sie einmal tuberkulös waren. Es war Altes Tuberkulin in der Spritze, als Cole ihn verhaftete. Da Sie ein gesunder Mensch sind, hätte es Ihnen nicht geschadet, darum ließ ich Sie Ihr Lungenleiden betonen. Ich hatte große Angst, dass es ihm doch einfallen könnte, einen anderen Krankheitserreger zu wählen, aber ich respektiere Ihren Mut und musste Sie das Wagnis auf sich nehmen lassen.«
»Oh, das tut nichts«, versicherte Miss Carnaby munter. »Ich habe nichts dagegen, etwas zu wagen. Ich fürchte mich nur vor Stieren auf einer Wiese und derlei. Aber haben Sie genug Beweise, um diesen Gauner zu überführen?«
Japp grinste.
»Mehr als genug«, sagte er. »Wir haben sein Laboratorium und die Kulturen und die ganze Anlage!«
»Ich halte es für möglich, dass er eine ganze Reihe von Morden begangen hat«, führte Poirot aus. »Ich glaube nicht, dass er von der deutschen Universität ausgeschlossen wurde, weil seine Mutter Jüdin war. Das war nur eine bequeme Ausrede, um seine Ankunft hier zu rechtfertigen und Mitleid zu erwecken.«
Miss Carnaby seufzte.
»Qu’est-ce qu’il ya?«, fragte Poirot.
»Ich dachte an den wunderbaren Traum«, seufzte Miss Carnaby, »den ich bei der ersten Feier hatte – Haschischwirkung vermutlich. Ich habe die ganze Welt so schön in Ordnung
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