Die Erwaehlten
Miniaturgepard. Sie fragte sich kurz, ob es überhaupt eine Hauskatze war. Ihr Dad hatte erzählt, dass es Luchse und andere kleine Wildkatzen in der Umgebung von Bixby gab. Das Tier sah aber ziemlich zahm aus, wie es da unruhig auf den Fensterbrett auf und ab lief und mit flehenden Indigoaugen zu ihr aufsah.
„Also gut“, sagte sie.
Sie schob das Fenster auf, ohne weiter darüber nachzudenken, was dieser Teil des Traums bedeuten könnte. Die Katze schlug heftig gegen sie, als sie ins Zimmer sprang, sie spürte die festen, angespannten Muskeln an ihrem Schenkel.
„Du bist ja ein echter Raufbold“, murmelte sie, während sie sich fragte, was es für eine Rasse sein könnte. So eine starke Katze hatte sie noch nie gesehen.
Das Tier sprang auf ihr Bett, schnüffelte am Kissen, drehte einen kleinen Kreis auf den zerknüllten Decken, und sprang dann in eine ihrer Kisten. Jessica hörte, wie es die Sachen in der Kiste durchwühlte.
„He, du da.“
Die Katze sprang aus der Kiste und sah zu ihr hoch, plötzlich vorsichtig. Sie zog sich langsam zurück, mit angespannten und zitternden Muskeln, bereit, um jederzeit davonzuspringen.
„Ist schon gut, Kätzchen.“ Jessica fragte sich allmählich, ob es nicht doch eine Wildkatze war. Eine Hauskatze, die sich so benahm, hatte sie noch nie gesehen.
Sie kniete nieder und streckte eine Hand aus. Die Katze kam näher und schnüffelte. „Alles in Ordnung.“ Jessica streckte einen Finger aus und strich ihr vorsichtig über den Kopf.
„Rrrrr.“ Das tiefe, schreckliche Geräusch quoll aus der Kreatur heraus, tief wie das Knurren eines Tigers, und sie zog sich mit dem Bauch am Boden zurück.
„He, entspann dich“, sagte Jessica und zog ihre Hand in eine sichere Entfernung zurück.
Aus den Augen der schwarzen Katze sprach blankes Entsetzen. Sie drehte sich um und rannte zur Zimmertür, an der sie vorwurfsvoll kratzte. Jessica stand auf und ging mit ein paar vorsichtigen Schritten auf sie zu, streckte den Arm aus, um die Tür zu öffnen.
Die Katze hopste den Flur hinunter und verschwand um eine Ecke. Jessica hörte sie an der Haustür jaulen. Sie jaulte nicht wie eine normale Katze. Die schrillen Töne hörten sich mehr nach einem verletzten Vogel an.
Jessica sah verwirrt hinter sich auf ihr geöffnetes Fenster. „Warum bist du nicht einfach …?“, hob sie an, dann schüttelte sie ihren Kopf. Wild oder nicht, diese Katze hatte einen Knall.
Sorgsam darauf bedacht, nicht in Beths Zimmer zu sehen, folgte sie den qualvollen Lauten den Flur hinunter bis an die Haustür. Die Katze duckte sich, als sie näher kam, sprang aber nicht weg. Jessica griff vorsichtig nach dem Türknauf und öffnete. Die äußere Haustür stand einen Spalt offen, die Katze quetschte sich hindurch und verschwand.
„Bis dann“, sagte sie leise seufzend. Echt super. Das zweite lebende Wesen in diesem Albtraum hatte panische Angst vor ihr.
Jessica zog die Tür bis zum Anschlag auf und trat auf die Veranda. Das alte Holz knarrte unter ihren Füßen, ein beruhigendes Geräusch in dieser stillen Welt. Sie holte tief Luft, dann trat sie auf den Gehweg, froh, das leblose, fremde Haus hinter sich zu lassen. Das blaue Licht kam ihr hier draußen irgendwie sauberer, gesünder vor. Obwohl ihr die Diamanten fehlten. Sie sah sich suchend um – nach einem fallenden Blatt, einem Regentropfen – etwas, das in der Luft schwebte. Nichts. Sie sah zum Himmel hinauf, ob es Wolken gab.
Ein riesiger Mond ging auf.
Jessica schluckte, ihr schwirrte der Kopf, als sie versuchte, den Ehrfurcht gebietenden Anblick zu verstehen. Die riesige Halbkugel nahm fast ein Viertel des Himmels ein, erstreckte sich groß wie ein Sonnenaufgang über den Horizont. Sie war aber nicht rot oder gelb oder in irgendeinem Farbton, den Jessica benennen konnte. Sie fühlte sich wie ein dunkler Fleck an, der sich vor ihrem inneren Auge eingebrannt hatte, als ob sie zu lange in die Sonne geschaut hätte. Sie hing farblos am Himmel, kohlschwarz und gleichzeitig gleißend hell, unbarmherzig vor ihren Augen.
Sie legte eine Hand über die Augen, dann sah sie nach unten zum Boden, ihr Kopf schmerzte und ihre Augen brannten heftig. Als sie die Tränen wegblinzelte, sah Jessica, dass das Gras seine normale Farbe wieder angenommen hatte. Für wenige Sekunden sah der Rasen grün und lebendig aus, aber dann sauste das kalte Blau wieder darüber, verteilte sich wie ein Tropfen dunkler Tinte in einem Wasserglas.
In ihrem Kopf hämmerte es immer
Weitere Kostenlose Bücher