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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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würde.“
    „Vielleicht willst du es noch gar nicht hören.“
    Jessica sah Jonathan überrascht an. Er blinzelte sie mit seinen verschlafenen braunen Augen unschuldig an.
    „Nun, da könntest du recht haben“, sagte sie achselzuckend. „Aber so lange werde ich mir auch keine Sorgen darüber machen.“
    „Das macht Sinn.“
    Jessica lächelte über die drei Worte, während Jonathan sein letztes Sandwich in Angriff nahm. Es wurde langsam Zeit, dass irgendwas Sinn machte.
     

     

neumond
    12.00 Uhr Mitternacht
    7
    Der blaue Traum kam in jener Nacht wieder.
    Jessica hatte wach gelegen und an die Decke gestarrt, erleichtert, dass endlich Wochenende war. Für morgen hatte sie sich fest vorgenommen, fertig auszupacken. Allmählich war sie es leid, immer in den Kartons zu wühlen, die sich in ihrem Zimmer stapelten. Vielleicht würde sie sich etwas sicherer fühlen, wenn sie ihre Sachen in Ordnung gebracht hatte.
    Vermutlich war sie müder gewesen, als sie geglaubt hatte. Schlaf schlich sich so unmerklich an, dass Traum und Wirklichkeit miteinander zu kollidieren schienen. Es war, als ob sie einmal geblinzelt hätte, und alles hatte sich verändert. Plötzlich war die Welt blau, Stille hatte den leise summenden Oklahomawind geschluckt.
    Erschrocken setzte sie sich auf. Das vertraute blaue Licht erfüllte den Raum.
    „Super“, sagte sie leise. „ Das schon wieder.“
    Diesmal vergeudete Jessica keine Zeit mit dem Versuch, wieder einzuschlafen. Wenn dies ein Traum war, schlief sie schon. Und es war ein Traum. Wahrscheinlich.
    Bis auf das durchgeweichte Sweatshirt natürlich.
    Sie schlüpfte unter ihrer Decke hervor und zog Jeans und ein T-Shirt über. Der reglose Regen war wundervoll gewesen, also konnte sie auch nachsehen, welche Wunder ihr Unterbewusstsein diesmal ausgeheckt hatte.
    Jessica sah sich vorsichtig um. Alles war klar und deutlich zu erkennen. Sie fühlte sich sehr gelassen, ohne verträumte Benommenheit im Kopf. Aus einem Psychokurs, an dem sie im vergangenen Jahr teilgenommen hatte, wusste sie, dass man das „luzides Träumen“ nannte.
    Das Licht war ganz genauso wie in ihrem Traum von der letzten Nacht, ein tiefes Indigo, das auf allen Oberflächen leuchtete. Es gab keine Schatten, keine dunklen Ecken. Sie spähte in einen Umzugskarton, und konnte alles, was darin lag, ebenso klar und deutlich erkennen. Alle Gegenstände schienen sanft von innen heraus zu leuchten.
    Sie sah aus dem Fenster. Diesmal gab es keine schwebenden Diamanten, nur eine stille Straße, still und flach wie ein Gemälde.
    „Wie langweilig“, murmelte sie.
    Jessica schlich zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Etwas an diesem Traum führte dazu, dass sie die tiefe Stille respektieren wollte; in dem blauen Licht schien die Welt verschwiegen und geheimnisvoll. Eine Umgebung, in der man schlich.
    Auf halbem Weg den Flur hinunter stand die Tür zu Beths Zimmer einen Spalt offen. Vorsichtig stieß Jess sie weiter auf. Das Zimmer ihrer Schwester leuchtete in dem gleichen tiefen Blau wie ihr eigenes. Es wirkte ebenso flach und still, obwohl unverkennbar Beths Klamotten auf dem Boden verstreut lagen. Ihre Schwester hatte an der Kistenfront noch weniger erreicht als Jessica.
    Eine Gestalt lag auf dem Bett. Der kleine Körper hatte sich unbequem in den Decken verwickelt. Seit dem Umzug hatte Beth nicht gut geschlafen, weshalb sie sich in einem Zustand permanenter Reizbarkeit befand.
    Jessica trat an das Bett und setzte sich vorsichtig, während ihr durch den Kopf ging, wie wenig Zeit sie seit ihrer Ankunft in Bixby mit Beth verbracht hatte. In den Monaten vor dem Umzug hatte sie es wegen der Anfälle ihrer kleinen Schwester schon kaum in ihrer Gegenwart ausgehalten. Beth hatte gegen den Vorschlag, aus Chicago wegzugehen, mit allen Mitteln angekämpft, und die ganze Familie war dazu übergegangen, sie zu meiden, wenn sie schlechte Laune hatte.
    Vielleicht hatte sie dieser Traum deshalb hierhergeführt. Da sie sich selbst auch erst in Bixby einleben musste, hatte Jessica nicht viel über die Probleme ihrer Schwester nachgedacht.
    Sie streckte den Arm aus und legte eine Hand sanft auf Beths schlafenden Körper.
    Jessica zuckte zurück, ein Schauder lief ihr über den Rücken. Der Körper unter den Decken fühlte sich falsch an. Er war hart, so starr wie eine Plastikpuppe im Schaufenster.
    Plötzlich fühlte sich auch das blaue Licht um sie herum kalt an.
    „Beth?“ Ihre Schwester rührte sich nicht. Jessica konnte nicht erkennen, ob sie

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