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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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noch, und Jessica dachte an eine Sonnenfinsternis, bei der die Sonne verdeckt wurde, aber doch noch kraftvoll war und Menschen blenden konnte, die ungewollt hineinsahen. Ein Nachbild des riesigen Mondes brannte ihr immer noch in den Augen und veränderte alle Farben auf der Straße. Funken der normalen Farben – Grün, Gelb, Rot – flackerten vor ihrem geistigen Auge. Dann ließ der Kopfschmerz allmählich nach, und die ruhigen, blauen Farbtöne senkten sich wieder über der Straße.
    Jessica sah noch einmal zum Mond hoch, und blitzartig erfasste sie seine wahre Farbe: Eine blendende Finsternis, eine hungrige Leere, er saugte Licht auf. Das blaue Licht in diesem Traum ging nicht von den Gegenständen aus, wie sie zuerst geglaubt hatte. Und es kam auch nicht direkt aus dem riesigen Mond am Himmel. Das kalte, leblose Blau war eher ein Überbleibsel, ein letzter Rest Licht, der übrig blieb, nachdem der dunkle Mond alle Farben des Spektrums aufgeleckt hatte.
    Sie fragte sich, ob der Mond – die dunkle Sonne oder der Stern oder was es auch war – in ihrem letzten Traum am Himmel gestanden hatte, hinter den Wolken verborgen. Und was hatte das zu bedeuten? Bis jetzt hatte Jessica geglaubt, diese Träume würden einen Sinn ergeben. Aber das hier war einfach nur seltsam.
    Ein Jaulen ertönte vom Ende der Straße.
    Jessica wirbelte herum. Es war wieder die Katze, diesmal kreischte sie in den höchsten Tönen wie ein Affe. Sie stand am Ende der Straße und sah sie an.
    „Du schon wieder?“, sagte sie, noch zitternd von dem Geräusch. „Für so eine kleine Katze bist du ziemlich laut.“
    Die Katze jaulte wieder, diesmal hörte sie sich fast wie eine Katze an. Eine unglückliche Katze. Draußen im Mondlicht blitzten ihre Augen indigofarben, und ihr Fell sah noch schwärzer aus, so satt und tiefdunkel wie ein leerer Nachthimmel.
    Das Tier jaulte wieder.
    „Schon gut, ich komme“, murmelte Jessica. „Stell dich nicht so psychosomatisch an.“
    Sie lief hinter dem Wesen her. Es wartete, bis es sicher war, dass sie ihm folgte, dann trottete es weiter. Während sie liefen, sah es sich immer wieder nach ihr um und gab abwechselnd kreischende oder bellende oder knurrende Laute von sich. Es blieb immer weit voraus, aus Furcht, Jessica könnte ihm zu nahe kommen, achtete aber stets darauf, in Sichtweite zu bleiben.
    Die Katze führte sie durch eine Welt, die ansonsten leer war. Es gab keine Wolken am Himmel, keine Autos oder Leute, nur den weiten Mond, der langsam aufstieg. Die Straßenlaternen leuchteten nicht, es gab nur das eintönige blaue Glühen, das von überall herkam. Die Häuser sahen verlassen und still aus, Totenstille hatte sich über sie gelegt, die nur die seltsame Geräuschemenagerie der verängstigten Katze durchschnitt.
    Anfangs erkannte Jessica einige Häuser von ihrem Schulweg, die Gegend wirkte in diesem Licht aber fremd, und sie vergaß bald, wie oft die Katze und sie abgebogen waren.
    „Hoffentlich weißt du, wo du hingehst“, rief sie dem Tier zu.
    Als ob es antworten würde, blieb es stehen und hob die Nase witternd in die Höhe, wobei es einen Laut von sich gab, der sich fast wie ein kindliches Brabbeln anhörte. Sein Schwanz stand steil aufgerichtet und schlug nervös von einer Seite zur anderen.
    Jessica näherte sich langsam der Katze. Sie saß in der Mitte der Straße, zitternd, die Muskeln unter seinem Fell zuckten in winzigen Spasmen.
    „Bist du in Ordnung?“, fragte Jess.
    Sie ging neben dem Tier in die Knie und streckte vorsichtig eine Hand aus. Es sah sie mit großen, panischen Augen an, und Jessica zog sich zurück.
    „Okay. Ich fass dich nicht an.“
    Sein Fell kräuselte sich jetzt, als ob Schlangen unter seiner Haut kriechen würden. Die Beine der Katze lagen dicht unter dem zitternden Körper gefaltet, ihr Schwanz ragte hinten steil auf.
    „Ach, du armes Ding.“ Sie sah sich Hilfe suchend um. Aber da war natürlich niemand.
    Dann ging die Verwandlung richtig los.
    Jessica beobachtete vor Schreck erstarrt, wie der Körper der Katze länger und dünner wurde, der Schwanz dicker, als ob man die Katze in ihren eigenen Schwanz stopfen würde. Ihre Beine verschwanden im Körper. Der Kopf schrumpfte und wurde platter, Zähne ragten aus ihrem Maul, als ob sie nicht mehr in ihren Kopf passen würden. Sie wurde länger und länger, bis das Wesen am Ende nur noch ein einziger Muskelstrang war.
    Es drehte sich zu ihr um und sah sie an, lange Reißzähne blitzten im Licht des dunklen

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