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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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atmete.
    „Beth, wach auf.“ Aus ihrer flüsternden Stimme wurde ein Schrei. „Lass den Blödsinn. Bitte.“
    Sie schüttelte ihre Schwester mit beiden Händen.
    Die Gestalt unter den Decken rührte sich nicht. Sie fühlte sich schwer und steif an.
    Jessica griff noch einmal nach den Decken, wobei sie sich nicht sicher war, ob sie wissen wollte, was darunterlag, aufhören konnte sie aber auch nicht. Sie stand auf, trat nervös einen Schritt vom Bett zurück, während sie die Bettwäsche mit einem hektischen Ruck wegzog.
    „Beth?“
    Das Gesicht ihrer Schwester war kreideweiß, reglos wie eine Statue. Die halb geöffneten Augen schimmerten wie grüne Glasmurmeln. Eine weiße und erstarrte Hand umklammerte die zerknüllten Laken wie eine fahle Klaue.
    „Beth!“ Jessica schluchzte.
    Ihre Schwester rührte sich nicht.
    Sie streckte den Arm aus und berührte Beth an der Wange. Sie war kalt und hart wie Stein.
    Jessica drehte sich um und rannte durch das Zimmer, wäre beinahe über die Kleiderhaufen gestolpert. Sie riss die Tür auf und rannte den Flur hinab zum Zimmer ihrer Eltern.
    „Mom! Dad!“, schrie sie. Als Jessica jedoch vor dem Zimmer ihrer Eltern stolpernd innehielt, blieb ihr der Schrei im Hals stecken. Die verschlossene Tür stand kalt und nackt vor ihr.
    Kein Laut drang nach außen. Sie mussten sie gehört haben.
    „Mom!“
    Niemand antwortete.
    Was, wenn sie die Tür öffnete, und ihre Eltern waren so wie Beth? Die Vorstellung, ihre Mutter und ihr Vater könnten auch so weiß und starr wie Statuen – tote Gegenstände – aussehen, paralysierte sie. Ihre Hand hatte den Türknauf fast erreicht, aber sie konnte ihre Finger nicht überreden, ihn anzufassen.
    „Mumray?“, rief sie leise.
    Kein Laut war hinter der Tür zu hören.
    Jess wich von der Tür zurück, in plötzlicher Panik, dass sie sich öffnen und etwas hinaustreten könnte. Dieser Albtraum konnte alles Mögliche mit ihr vorhaben. Das ungewohnte Haus war ihr inzwischen vollkommen fremd, blau, kalt und ganz ohne Leben.
    Sie kehrte um und rannte zu ihrem Zimmer zurück. Auf halbem Weg kam sie an Beths Tür vorbei, die immer noch weit offen stand. Jessica wandte den Blick zu spät ab und sah eine schreckliche Sekunde lang den entblößten, leblosen, weißen Körper auf dem Bett.
    Jessica stürzte in ihr Zimmer und schloss die Tür fest hinter sich, bevor sie wie ein schluchzendes Häufchen zu Boden sank. Der erste Traum war so wunderschön gewesen, aber dieser Albtraum war absolut entsetzlich. Sie wollte einfach nur aufwachen.
    Um gegen ihr Entsetzen anzukämpfen, versuchte sie zu ergründen, was der Traum zu bedeuten hatte. Jessica war so sehr in ihre eigenen Probleme vertieft gewesen, dass sie das Offensichtliche übersehen hatte. Beth brauchte sie. Sie musste aufhören, so zu tun, als ob die Wut ihrer Schwester nur eine kleine Unpässlichkeit wäre.
    Sie umschlang ihre Knie und drückte sie an ihre Brust, mit dem Rücken an der Tür, und nahm sich fest vor, morgen netter zu Beth zu sein.
    Jessica wartete darauf, dass der Traum aufhören würde.
    Hoffentlich blieb diesmal nichts in der wirklichen Welt zurück. Keine erstarrte Beth, keine klitschnassen Sweatshirts. Nur Morgensonne und das Wochenende.
    Langsam, allmählich, versiegten Jessicas Tränen, und der blaue Traum hüllte sie ein. Nichts veränderte oder bewegte sich. Das stille, kalte Licht leuchtete von überall und nirgends; es herrschte vollkommene und absolute Ruhe. Selbst das leise Quietschen und Stöhnen eines Hauses bei Nacht war verstummt.
    Als dann das Kratzen kam, riss Jessica sofort den Kopf hoch.
    Da war eine Gestalt im Fenster, ein kleiner, dunkler Körper, der sich vor der gleichmäßig leuchtenden Straße abzeichnete. Er bewegte sich weich und geschmeidig, lief mit katzenhaften Schritten auf dem Fenstersims auf und ab, hielt dann inne, um an der Scheibe zu kratzen.
    „Kätzchen?“, sagte Jessica. Vom Weinen war ihre Stimme rau.
    In den Augen des Tieres blitzte kurz Licht auf, tiefviolett leuchtend.
    Jessica erhob sich schwankend, in ihren Beinen stachen tausend Nadeln. Sie bewegte sich langsam, um die Katze nicht zu verjagen. Wenigstens gab es in diesem Albtraum doch noch etwas Lebendiges. Wenigstens war sie nicht mehr mit der leblosen Gestalt in Beths Zimmer allein. Sie ging zum Fenster und sah hinaus.
    Es war glatt und schlank, glänzend und schwarz. Muskeln zuckten unter seinem Mitternachtsfell; das Tier schien stark wie eine Art Wildkatze, fast wie ein schwarzer

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