Die Erzaehlungen 1900-1906
Wort zu sagen.
Da geschah es wie ein Blitz, daß Hannes, am Meister vorbei, zur Esse stürzte und mit beiden Händen einen von den schweren Vorschlaghämmern an sich
riß. Noch im selben Augenblick stand er wieder vor dem Meister, den Hammer
hoch geschwungen, und blickte ihn auf eine Art an, daß uns todesbang wurde.
Schlag doch zu, wenn du Courage hast , sagte der Meister. Es klang aber
nicht ganz echt, und als jetzt Hannes Miene machte, zuzuhauen, wich der
Bedrängte vor ihm zurück, Schritt um Schritt, und Hannes immer hinter ihm
her, mit dem riesigen Schmiedehammer zielend. Der Meister war totenblaß,
man hörte ihn laut keuchen. Hannes trieb ihn so langsam weiter bis in die
Ecke, da stand er an die Wand gedrängt, neben seiner kleinen Maschine, von
der das Tuch geglitten war.
Hannes sah schauerlich aus in seiner Wut, und die Spuren des Faustschlags
neben seinem Auge standen in dem weißen Gesicht und machten es noch
wüster.
Jetzt lüpfte er den Hammer noch ein klein wenig, biß die Zähne zusammen
und hieb. – Wir schlossen alle einen Moment die Augen. Dann hörten wir
den Gesellen laut und böse lachen. Sein Schlag hatte gedröhnt, als müsse das Haus einfallen, und jetzt schwang er den Hammer hoch und hieb noch einmal.
Aber beide Schläge galten nicht dem Meister. Statt dessen war die Maschine,
seine Erfindung, scheußlich zertrümmert und lag in geborstenen, verbogenen
und plattgeschlagenen Stücken da. Jetzt warf Hannes den Hammer weg und
ging ganz langsam in die Mitte der Werkstatt zurück; dort setzte er sich mit verschränkten Armen auf den Amboß, doch zitterte er noch in den Knien und
Händen.
Der Meister kam ebenso langsam ihm nach und stellte sich vor ihm auf. Es
schien, als seien beide vollständig erschöpft und hätten zu nichts mehr Kraft.
Hannes baumelte mit den Beinen, und so saß der eine und stand der andre, sie sahen einander nicht einmal mehr an, und der Meister fuhr sich immer wieder
mit der Hand über die Stirne.
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Dann nahm er sich plötzlich zusammen und sagte leise und ernst:
Steh
jetzt auf, Hannes, und geh, nicht wahr?
Ja, ja, freilich , sagte der Geselle. Und dann noch:
Also adieu denn.
Adieu, Hannes.
Nun ging er hinaus mit dem verschwollenen Auge, und die Hände noch
schwarz von Schraubstockschmiere; und wir sahen ihn nicht wieder.
Ich hielt den Augenblick für günstig, ging zum Meister hin und sagte ihm,
ich hätte einen von den Gewindebohrern zerbrochen, einen von den feinen.
Ängstlich erwartete ich sein Strafgericht. Er sagte aber bloß:
Welche Num-
mer?
Dreidreiviertel , flüsterte ich.
Bestell einen neuen , sagte er, und weiter kein Wort.
(1904)
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Sor aqua
So viel mich das Leben umhertrieb und so viel Menschliches allmählich seinen Reiz und Wert für mich verloren hat, meine Liebe zur Natur ist noch jetzt so stark wie nur je in meiner Jugendzeit. Sie begann früh in den Knabenjahren
mit Schmetterlingsjagd und Käferfang, erweiterte sich dann zur Lust an Wan-
derung und Landschaft, zum Trieb in die Ferne, wurde zeitweilig von andern
Leidenschaften unterdrückt, erstarkte aber, je einsamer und stiller ich wurde.
Wenn ich nun in schönen Mittagsstunden meinen kleinen Gang tue und
dann, auf einer Bank Rast haltend, Himmel, Wolken, Berge und lichte Flu-
ren überschaue, ergreift mich oft diese stumme Schönheit mit wunderlicher
Rührung. Ich kann keinen Berg, keine Landstraße, keinen Wald sehen, ohne
daß zahllose Erinnerungen mich bestürmen, viel zu reich und mannigfaltig,
als daß ich sie alle zugleich liebkosen und beherbergen könnte. Was bin ich
nicht in meinem Leben gewandert! Wieviel Gebirge, Ströme, Seen, Meerbusen
habe ich gesehen, die ich fast alle des öftern besuchte und deren Andenken
mein Gedächtnis zu einem gewaltigen farbigen Bilderbuch macht. Die Schweiz
hat wenige Berge, deren Kontur ich nicht treu aus dem Gedächtnis zeichnen
könnte, und dann die Umrisse all der Seen und Inseln, die Silhouetten von
Städten in Italien, Österreich, im Norden, die Höhenzüge der Vogesen, des
Jura, des Harzes, des Odenwaldes, des Apennin, der korsischen Berge!
Wenn ich niemals mit Menschen verkehrt und keinerlei Abenteuer in Haß
und Liebe erfahren hätte, so würden diese Wanderungen allein mein Leben
erfüllt und reich genug gemacht haben. Freilich waren es keine Eisenbahn-
reisen, sondern Wanderzüge zu Fuß, zu Schiff, zu Maulesel, zuweilen auch
im Postwagen, mit vielen unbeabsichtigten längeren und
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