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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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von Fischen, Krabben, Muscheltieren und Seevögeln, horchte auf das Verlaufen der Wellen im Sand, ward plötzlich von großen Möwen erschreckt und erschreckte
    sie wieder, dachte versunkenen Schiffen und Städten nach, verfolgte den Lauf der lichten Wolken und sog in tiefen Zügen die warme, dampfende Salzluft in
    mich ein.
    Es ist eine alte Wahrheit, daß man geben muß, um zu nehmen. Ich brachte
    meiner sor aqua Liebe, Verehrung, Aufmerksamkeit, Unermüdlichkeit entge-
    gen, ich ließ mir Launen von ihr gefallen, ich sah sie ohne Zorn mehrmals in ausgelassener Grausamkeit mit meinem Leben spielen, aber sie hat mir alles vielfältig bezahlt. Sie verriet mir in guten Stunden köstliche Geheimnisse, ließ mich rare Dinge sehen, unterhielt mich mit Geschwätz, mit Gesang, mit
    Getöse, warf mir je und je einen auserlesenen Genuß in den Schoß. War ich
    im Boot unterwegs, so ließ sie mich rechtzeitig aufsteigende Gefahren mer-
    ken, beim Schwimmen lehrte sie mich manchen kleinen Vorteil, angelte ich,
    so brachte sie es selten über sich, mich leer ausgehen zu lassen. Sie hat mir zuweilen Streiche gespielt, mich von Kopf zu Fuß durchnäßt, mir das Boot
    umgeworfen, mir Angelschnüre abgerissen oder allerlei lächerliches Zeug dar-
    an gehängt, wie Wasserpflanzen, alte Stiefel und dergleichen, ja einmal hing mir ein ersoffener Hund an der Hechtschnur. Aber wer möchte einer geliebten
    älteren Schwester solche Scherze nicht gerne verzeihen!
    Vielleicht waren es nächst dem Genfer- und Bodensee die Buchten von Nea-
    pel und Syrakus, die venezianische Lagune, die Küste der Normandie und die
    Heimat der Halligen, denen ich die größten Eindrücke verdanke. Aber das
    wäre ungerecht. Die Frühlingsstürme auf dem Urner See, der Oberrhein, das
    Rhönetal gaben mir nicht weniger, und schließlich ward mir mancher an klei-
    nen süddeutschen Erlenbächen oder an grünen, tangüberzogenen Karpfentei-
    chen verfischte und verbummelte Nachmittag so lieb oder lieber als irgendeine Seereise oder südliche Barkenfahrt.
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    Daß ich, wie fast alle meine Fahrten, so auch alle meine Besuche bei sor
    aqua ohne Gesellschaft machte, versteht sich von selbst. Ich liebe Freiheit der Bewegung und Freiheit auch im Rasten, und nicht weniger als die sommer-reisenden Philisterschwärme sind mir die in Trikot gekleideten sportsmen der Schwimm- und Rudervereine verdächtig. Das hindert nicht, daß ich auch unter
    diesen Leuten gelegentlich einen lieben Einzelnen traf. Im ganzen aber fand
    ich nur einen einzigen wirklichen Kollegen. Es war ein Engländer, vielmehr
    Halbirländer, der ganz wie ich sein Leben lang als Junggesell und Wanders-
    mann die Welt durchzog, den Reisepöbel mied, ein Einsiedler und Halbnarr
    war und sich procul negotiis am Herzen der Natur allein ganz wohl fühlte. Nur dehnte er, obwohl er so wenig als ich ein Krösus war, seine Reisen auf Indien und Afrika aus und stak, obwohl er gleich mir ohne wissenschaftliche Zwecke
    reiste, voll von sprachlichen und Realkenntnissen aus aller Herren Ländern.
    Ich bin ihm in all den Jahren achtmal begegnet und war dann mehrmals ta-
    gelang, einmal wochenlang sein Genosse. Mit ihm frühstückte ich in Cannes,
    schwamm im Meer bei Korsika, mit ihm pilgerte ich über den Simplon und die
    Gemmi, ein anderes Mal kreuzte er meinen Weg im Haag, und zuletzt sah ich
    ihn im Montafon. Das ist nun auch schon bald zwanzig Jahre her, wir scherz-
    ten beide über unser klägliches Aussehen und klagten einander die Leiden
    des beginnenden Alters, welche für gewohnte Fußwanderer und Vagabunden
    doppelt schmerzlich sind.
    Wenn jemand dieses liest, so mag er sich wundern, wie ich zu einer so beweg-
    lichen und abseitigen Lebensart gekommen sei. Nun, ich wurde mit achtzehn
    Jahren Architekt, arbeitete da und dort und blieb fünfzehn Jahre im Beruf,
    der mich namentlich in die Schweiz und nach Österreich führte. Dann ging
    ich, des einträglichen, aber nicht gerade künstlerischen Arbeitens überdrüssig, zu ausgedehnteren Studien nach Italien, wo ich ein Jahr lang römische Tempel, Theater und Brücken, Kirchen und Renaissancepaläste betrachtete und
    abzeichnete. Darüber gewöhnte ich mich an ein unstetes Leben; meine Eltern
    waren beide tot, und ich hatte keine Lust, mein teils geerbtes, teils erspartes Vermögen in einem eigenen
    Baugeschäft
    umzutreiben. So bin ich eine Art
    von Bummler geworden und mein Leben lang geblieben. Zwischenein las ich
    wohl auch über Geschichte und

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