Die Erzaehlungen 1900-1906
dergleichen, zeichnete oder führte für Freunde kleinere Bauten aus, das Wandern aber und sor aqua waren mir wichtiger.
Kehren wir zu ihr zurück! Sie hat mich nie gefragt, ob denn bei all dem
Schwimmen und Seefahren auch etwas Rechtes aus mir werde, sie hat mich
liebgehabt und beherbergt wie ihre Seehunde, kalt und warm, lind und rauh,
je nach der Jahreszeit. Sie war mir denn auch interessanter als alle gebauten und vollends ungebauten Häuser der Erde, und wir beide haben es nie bereut,
daß ich mir den Magen nicht am Reißbrett geknickt habe und kein Palladio
oder moderner Bauunternehmer geworden bin. Freilich lag damals, als ich das
240
Bummeln zu meinem Metier und sor aqua zu meinem Liebling machte, die
erste schöne Jugend auch schon hinter mir, und ich hatte leider Gründe für
mein Tun. Ein andermal davon!
Es war nicht anders möglich, daß ich auf meinen Streifzügen häufig mit
Menschen aus der Gattung der Maler zusammentraf, namentlich in früheren
Jahren, da das Vedutenmalen noch nicht völlig den Handwerkern überlassen
worden war. Während meiner Architektenzeit in Italien gehörte ich selber zu
diesem leichten Volk, wanderte in Sommerhut, Plüschjacke und Flatterschlips
durch die Albaner Berge und sah aus als wäre ich aus einer Eichendorffschen
Novelle entsprungen. Später schwand meine Hochachtung vor den Samtjacken
mehr und mehr, doch fand ich noch eine Reihe vortrefflicher Leute unter
ihnen und behielt zeitlebens eine gewisse Neigung fürs Handwerk bei. Von
Kunst allerdings redete ich nie gern mit ihnen, sie waren damals so dogma-
tisch verbohrt wie heute, und fast jeder glaubte, seine sichere Landstraße zur Seligkeit unter den Sohlen zu haben. Ich lachte darüber und sor aqua auch.
Wasser malen konnte nämlich kein einziger. Die Neueren sind darin, wie ich
zugeben muß, weiter gekommen, aber streng genommen war der verstorbene
Böcklin doch der einzige, der das Meer physikalisch wie poetisch verstanden
und dargestellt hat. Wenn auch nur das südliche.
Während nämlich diese Maler keine Katze abbilden wollen, ohne ihre Ana-
tomie zu kennen, sehen sie sämtlich am Wasser nichts als Oberfläche. Ich kann-te namhafte Leute unter ihnen, denen die simpelsten Ursachen der Färbung
oder Wellenbildung einer Wasserfläche ungelöste Rätsel waren. Die Folge war
natürlich, daß ihre Seen und Meere höchstens gute Momentbilder ohne den
tieferen, zum Verständnis zwingenden Organismus wurden. Vollends die aus
dem Gedächtnis gemalten Meere auf Historienbildern und heroischen Land-
schaften sind allzumal miserable Traumbilder und haben mit der wahren Natur
und Schönheit des Meeres meist keinen Schatten gemeinsam. Daß das weitere
und engere Publikum den Schwindel glaubt, kauft und lobpreist, ist mir längst ein Beweis dafür, daß die meisten Kunstkenner der Natur gegenüber blind und
Nichtskenner sind.
Im Flur meiner Wohnung steht ein mächtiger Kasten, in dem ich all mein al-
tes Wassergerät verwahre. Da lehnen Angelruten jeder Art, kleine Handhamen
und dergleichen, und die Laden sind mit Schnüren, Angeln, künstlichen Flie-
gen, Fischbüchsen, mit selbstgezeichneten Fluß- und Seekarten, mit Muscheln, getrockneten Seepferdchen und ähnlichem Zeug gefüllt. An den Sachen hängt
noch etwas wie Wasserduft, der mich mächtig lockt, und zuweilen ertappe ich
mich darüber, wie ich Schnüre drehe und färbe, Darmsaiten öle, Haarfliegen
flechte und schadhafte Angelstöcke repariere, die ich vermutlich doch nie mehr 241
brauchen werde. Oder ich nehme die Karten vor, verfolge eine meiner früheren Wasserreisen und zeichne mit leisem Stift eine neue ein, die ich noch ausführen möchte. All das tut mir wohl, und all diese unnütz gewordenen Sachen sind mir doch noch lieb, weil sie ihr Stück eigenen Lebens haben. Heutzutage kauft man Leinen, Korke, Posen, Fliegen, Lote, Karten und alles fertig im Laden. Meine Stücke aber sind eigene Handarbeit, und ihre Herstellung hat mir jeweils fast soviel Freude gemacht wie ihre Verwendung.
Hier ist eine starke hellbraune Leine ohne Rute, mit der ich im Elsaß auf
Karpfen zu fischen pflegte. So oft ich sie sehe, fällt mir ein kleines Erlebnis ein.
Ich ging damals häufig zum Karpfenfang auf das Gut eines mir befreundeten
Landbesitzers. Er hatte einen schönen eigenen Teich und sah es, weil er selbst zu viel beschäftigt oder zu bequem war, gerne, wenn ich die Fische für ihn
herauszog.
Dort saß ich denn auch eines
Weitere Kostenlose Bücher