Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
denn auch vom Arzt
    verboten war. Dennoch entwischte er fast jeden Tag unter allerlei Vorwänden
    seiner wachsamen Frau und trieb sich mit mir stundenlang am Bach herum, im
    nassen Gras, in schattig-kalten Gebüschen, im Wasser selbst, pfeifend vor Aufregung und Wonne, um diese Lust dann regelmäßig nachts in bösen Anfällen
    von Asthma und Gicht zu büßen. Ich glaube kaum, daß er lang mehr gelebt
    hat, wenigstens sah ich ihn nie wieder, seine hagere Gestalt und sein vornehmes, vom Jagdeifer gerötetes Gesicht mit den klaren, klugen Grauaugen ist
    243
    mir unvergeßlich geblieben. Einst war ihm sein Vorrat von Angeln und Fliegen ausgegangen, und auf das Flehen seiner Frau schlug ich ihm die Bitte um Aus-hilfe aus meinem reichlichen Vorrat ab. Er war ganz verzweifelt und vergaß
    sich schließlich so weit, mir für ein Dutzend meiner Angeln ein Goldstück zu bieten. Als ich ihn darüber kräftig zurechtwies, war er dem Weinen nahe und
    sah mich so hoffnungslos aus seinen guten Augen an, daß ich ihm eine Angel
    schenkte unter der Bedingung, es müsse seiner Frau verborgen bleiben. So
    zogen wir, beide schon Graubärte, nach Tisch auf Umwegen aus und frönten
    unserer Leidenschaft mit schlechtem Gewissen, aber doppelter Lust bis zum
    Abend. Bei der Rückkehr ertappte uns aber die Dame, und wir wurden unter
    der Tür des Gasthauses von ihr abgekanzelt wie zwei unartige Jungen. Dies
    machte uns vollends zu Freunden, und als Sturrock nach einigen Wochen ab-
    reiste, schenkte er mir einen schönen schottischen Plaid, der mir seither schon oft gute Dienste tat, und nahm von mir ein paar selbstgefertigte künstliche
    Köderfische für den Hechtfang mit. Die Dame aber blieb unversöhnt und sah
    mich so zürnend und eifersüchtig an wie eine Mutter den Nachbarsjungen, der
    ihr Schoßkind zu bösen Streichen verleitet hat.
    Es ist mit solchen Geschichtchen wie mit dem Sternezählen an einem frühen
    Abendhimmel. Man entdeckt einen, zwei, drei, dann sieben und zehn, und
    schließlich sieht das geschärfte Auge plötzlich die unzähligen Mengen wie Gold-tropfen hervorperlen, bis es sich verwirrt und geblendet schließt. So brechen nun von allen Seiten Erinnerungen über mich herein, große und kleine, deutliche und dämmernde, frohe und traurige.
    traurigen gehört ein Erlebnis, das ich noch in ganz jungen Jahren am obe-
    ren Rhein, nahe bei Rheinfelden, hatte. Ich arbeitete damals kurze Zeit, nicht ganz ein Jahr, als Baugehilfe in Zürich und besuchte von da aus öfters die
    prächtigen, gerade für Bauleute ergiebigen und anziehenden Orte am Rhein
    und Bodensee, obenan Konstanz, Stein und Schaffhausen. Gelegentlich besah
    ich mir natürlich auch die dortige Fischerei, machte waghalsige Weidlingfahrten mit und freute mich mächtig auf den mir noch ganz unbekannten Lachs-
    fang. Zwar hätte ich diesen, statt mit Zughamen, lieber gleich den Nordländern mit dem Spieß oder sonst auf eine recht aparte Weise betrieben, aber auch
    so war die Lachswanderung eine abenteuerliche und merkwürdige Sache, de-
    ren Anblick ich mir nicht entgehen lassen wollte. So erschien ich denn, wie
    verabredet, eines Tages in Rheinfelden und wurde von einem Kollegen, dem
    Sohn eines dortigen Gastwirts, mitgenommen. Wir fuhren abends im Wagen
    ziemlich weit rheinabwärts bis zu einer ihm gehörigen Lachsfalle, das heißt
    einer kleinen Bretterhütte überm Rhein, von der aus an langer Stange über
    eine höchst schlichte Holzachse die mit Steinen beschwerten Netze eingesenkt und nach kurzen Pausen wieder aufgezogen wurden. Es war ein rauher Abend,
    und wir zogen lange Zeit nichts als kleine Weißfische. Dann aber kam der erste 244
    Lachs, ein starker, schöner Bursche, heraus. Er wurde mit Geschrei begrüßt,
    sogleich ausgenommen, zerlegt und ans Feuer gesetzt. Wir hatten Wein, Brot,
    Butter und Zwiebeln mitgebracht, ein Knecht besorgte das Kochen, ein zwei-
    ter half uns am Netz. Wir fingen wenig mehr, desto besser schmeckte uns
    das einfache Nachtmahl am hellen Feuer. Zuletzt waren wir alle des Ziehens
    müde und saßen rauchend und trinkend beisammen. Das Netz war im Wasser
    geblieben, und nach einer halben Stunde des Ausruhens lockte es mich doch
    wieder zum Zug. Ich ging allein hinüber und zog an. Das Netz widerstrebte. Ich vermutete einen glänzenden Fang, dessen alleinige Ehre ich behalten wollte,
    und zog mit äußerster Anspannung aller Kräfte die Stange hoch. Das Netz war
    schwer und voll – von was, das konnte ich im Dunkeln nicht

Weitere Kostenlose Bücher