Die Erzaehlungen 1900-1906
Nachmittags im Spätsommer im schadhaften
Holzbötchen, die braune Schnur in der Hand. Diese schlichteste Art zu angeln, ohne Stock noch Schwimmer aus freier Hand, ist mir immer lieb gewesen. An
jenem Tage war mir das Fischen freilich Nebensache. Es war ein trüber, kühler Tag, der wenig Beute versprach, den ich aber desto lieber an dem schönen,
stillen Wasser verträumte. Der nicht große, ovale Weiher war teils von Schilf, teils von Steilufer mit schönem alten Birken- und Erlenbestand umschlossen.
In dem tief braungrünen, toten Wasser lagen der bleichgraue Himmel und der
Saum von schönen Baumkronen in zartem Licht gespiegelt. Es war still wie
in einer Kirche um Mitternacht, nur hin und wieder fiel ein Baumblatt auf
den Spiegel oder es stieg eine Luftblase auf. Das Schilf stand so unbeweglich als wäre aller Wind für heute verblasen. In behaglicher Träumerei sog ich den intensiven Teichgeruch ein, starrte ins Röhricht und genoß den tiefen Mittags-zauber. Alle meine lieben See- und Wassersagen fielen mir ein, doch wollte
keine ganz in meinen Weiher passen. Ich sann nach, wie wohl der Geist und
König dieses schweigsamen Gewässers aussehen müßte. Eine Wasserjungfer?
Nein. Auch kein Nöck oder Froschkönig. Aber ein ernster, stiller, würdevoller Karpfenfürst mußte es sein. Ich begann mir ihn vorzustellen, vom starren
Schwanz bis zur breiten Schnauze, golden glänzend, mit ernsthaften, schwar-
zen und gelben Augen, der Leib schön breit und fest, die Bauchflossen groß
und rosa, der Schädel schwer, doch wohlgeformt. So mußte er hier wohnen und
herrschen, uralt, klug, schweigsam und ernsthaft; so mußte er tief im braunen lauen Wasser zwischen den langstieligen, gewundenen Blattpflanzen hin und
wieder schwimmen, zwischenein lang und tiefsinnig am selben Fleck stehen,
ohne Regung, mit den runden Augen träumerisch Umschau haltend.
Plötzlich empfand ich einen scharfen Ruck, bei welchem ich fast die Balance
verlor. Aha! Ich zog rasch an; der Fisch saß. Nun wand ich ihn, der sich
kaum wehrte, still und langsam herauf. Bald sah ich ihn breit und golden
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aufglänzen und gleich darauf hielt ich ihn auch schon fest. Es war ein schöner, vollwüchsiger Teichkarpfen, einer der schwersten, die ich je gezogen. Er wehrte sich wenig, lag vielmehr ruhig in meinen Händen, das breite Maul schmerzlich geöffnet, mit stummer Angst aus den runden Augen blickend – der König
seines Teichs, wie ich ihn eben noch mir ausgemalt hatte. Die Angel war zu
meinem Erstaunen nicht verschluckt, sondern hing in der starken Oberlippe:
der schöne Fisch war also nicht ernstlich verwundet.
Ich machte ihn sorgfältig los, wobei er heftig schauderte; dann folgte ich
ohne Besinnen einer starken Regung und ließ das prächtige Tier in seinen
Teich zurückgleiten.
Im selben Augenblick erklangen Schritte und Hundegebell.
Mon Dieu! Qu’est-ce que vous faites?!
schrie mein Freund mich an. Der
Bann war gebrochen, und im ersten Augenblick begriff ich selber meine für
einen alten Fischer unerhörte Tat nicht mehr. Dann aber verteidigte ich mich, erzählte meine Königsgeschichte und wurde, wie ich mir hätte denken können,
absolut nicht verstanden.
Vous voulez m’en imposer! Ce n’était que votre négligence , hieß es. Ich
ließ es gerne dabei bewenden. Aber dieser Karpfen, der einzige, den ich je
absichtlich entwischen ließ, macht mir heute noch mehr Vergnügen, als alle
gefangenen und behaltenen zusammen.
Meine lange nicht mehr gebrauchte Forellenrute erinnert mich an die Aare
und an manchen Jurabach zwischen Biel und Fribourg, namentlich aber an den
Schwarzwald, der vor dreißig Jahren noch prächtige Partien hatte, während er heute zu einem hübschen Vergnügungsetablissement herabgesunken ist. Seine Straßen sind glatt, seine Berge niedriger geworden, schwer zugängliche
Schluchten gibt es nicht mehr. Nun, früher brachte ich häufig prächtige Wo-
chen dort zu und habe besonders in dem kleinen Badedorf Teinach viel gean-
gelt. Das Forellenangeln, ohnehin eine interessante Jagd, hatte für mich noch einen besonderen Reiz dadurch, daß ich diesen Fisch nicht nur an der Angel, sondern auch auf der Tafel liebte, während mir sonst der Verbleib meiner Fischbeute meistens gleichgültig war.
In Teinach fand ich einen leidenschaftlichen und ausdauernden Sportgenos-
sen an einem vornehmen Engländer namens Sturrock. Er war älter als ich,
kränklich und fast untauglich zum Fischen, das ihm
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