Die Erzaehlungen 1900-1906
kam
aber nicht von dort, er war schon lange Zeit im Reich auf Arbeit. Jetzt kam
er von Frankfurt her und war vier Wochen unterwegs, hatte aber noch einen
zweiten Anzug und sogar Bargeld. Sein Arbeits- und Wanderbüchlein war ta-
dellos in Ordnung, er hatte sogar noch ein Zeugnis von der Lehrlingsprüfung.
Wie alt er war, konnte man ihm schwer ansehen. Ich schätzte etwa sieben-
undzwanzig, wenn er auch älter aussah. Er hatte nämlich, wie man das bei
Querköpfen manchmal sieht, junge Gebärden und ein altes Gesicht. Es gibt ja
solche.
Meinem Freund Christian war der Zbinden vom ersten Tag an ein Dorn im
Auge.
Sag was du willst , sagte er zu mir,
der Fremde ist ein Duckmäuser,
ich kenne die Sorte. Fehlt nur, daß er es gegen uns mit dem Alten hält. Und
wenn er mittwochs zu den Pietisten in die Stunde läuft, so soll’s mich nicht wundern.
Das stimmte nun und stimmte auch nicht. Wenigstens ging der Neue nicht
zu den Pietisten. Am ersten Abend wurde er, wie es der Brauch ist, von uns
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eingeladen und ging auch mit in den
Schwanen . Aber um halb zehn Uhr
stand er auf, zahlte seine zwei Glas Hanauer und ging heim. Der Christian,
als er um elf Uhr ins Bett ging, sah ihn gerade noch ein Buch weglegen, in
dem er gelesen hatte.
Die, die so nachts lesen , sagte Christian,
und dann das Buch verstecken,
wenn man kommt, das sind mir grade die Rechten.
Auch ich war seiner Meinung. Zu was soll die Leserei nachts noch gut sein?
Das Tagblatt und die Mechanikerzeitung konnte er beim Vesper und über
Mittag in der Werkstatt lesen.
Beim Schmieden stand er einmal dem Christian ungeschickt im Weg.
Mach Platz, du Heimtücker!
rief Christian ihm zu.
Ich stehe gut, stell du dich anders , sagte der Zbinden.
Der Christian wurde gleich wild.
Jetzt gehst weg!
schrie er,
oder du
kriegst den Hammer auf den Schädel.
Da wurde der Zbinden blaß und ging weg. Als dann ausgeschmiedet war,
ging er zu Christian hin und sagte:
Du, das hättest du nicht sagen sollen.
Nimm’s zurück.
Einen Dreck nehm ich zurück , lachte der Christian.
Nimm’s zurück! Es könnte dir leid tun.
Jetzt war mein guter Freund aber zornig.
Leid tun?
schrie er ihn an.
Du Hinterrückser, du Schleicher! Wenn’s dir bei uns nicht gefällt, kannst ja gehen, es hält dich keiner!
Von da an war der Schweizer noch stiller als schon zuvor, und wir mochten
ihn alle nicht leiden.
Um diese Zeit trat beim Dreher Kusterer ein neuer Geselle ein, und weil der
Dreher uns öfter Holzrollen und Modellteile lieferte, lernten wir den Gesellen auch bald kennen. Da sagte er einmal zu mir:
Du, seit wann habt ihr denn
den Kerl da, den Zbinden?
Seit April , sagte ich.
So so. Da habt ihr aber einen Schönen erwischt.
So, warum denn?
Ein Verhältnis hat er gehabt mit der Frau vom Werkführer, und erwischt
haben sie ihn, und rausgeschmissen haben sie ihn. Mit einer verheirateten
Frau!
Ich war damals noch unschuldig und hatte nicht gewußt, daß solche Sachen
passieren können. Ich glaubte es auch nicht beim erstenmal und erzählte die
dumme Geschichte nicht weiter. Ein Lehrling muß das Maul halten können.
Aber bald wußten es auch die andern. Und der Christian schoß natürlich gleich los damit.
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Eines Morgens, der Meister war gerade nicht da, traf er mit Zbinden am
Schleifstein zusammen.
Drehstahl schleifen?
fragte der Christian und lachte.
Nein, bloß den Meißel da , sagte der Zbinden.
Da lachte der Christian noch lauter, so daß wir nun alle zuhörten, und
fragte:
Dü, Zbinden, ist sie recht schön gewest, die Frau vom Werkführer?
Der andere fuhr zusammen. Dann fragte er:
Von was redest du?
Tu nicht so , lachte der Christian,
man kennt deine Streiche schon. Aber
hier haben wir keinen Werkführer, dem du die Frau verführen kannst.
Da hob der Zbinden seinen Arm auf und sah aus, wie wenn er jetzt den
Christian augenblicklich niederschlagen würde, denn stark genug war er dazu.
Der Christian floh schnell zurück und ließ ihn in Ruhe.
Nun wäre es gut gewesen, und vielleicht hätte mein Freund Christian genug
gehabt und nie mehr so etwas gesagt. Aber der Zbinden, der Teufel muß ihn
geritten haben, tut wieder etwas ganz Unbegreifliches: er kommt mittags in
der Eßzeit her und sagt ganz süß:
Es tut mir leid, Christian, daß ich dich
erschreckt habe. Sei so gut und rede nichts mehr von diesen Sachen, sonst gibt es noch ein Unglück.
Für den Augenblick sagte der Christian vor Erstaunen gar nichts. Er
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