Die Erzaehlungen 1900-1906
ersteygen, kamen an Schauderhaffte Felsen, u. Klüffte, höreten wilde Stürzt-Bäche brau-
ßen, u. blyben am zweyten Tage gantz entkrefftet liegen, konnten nicht weiter dringen. Der Hunger plahgte uns entsezzlich, ich were gar danckbahr gewesen, wan ich eine Schüßel Pinang, von der guten Sillah, jetzt hätte haben können.
Wir lagen die gantze Nacht auff denen Felsen, sahen den sichren Todt
vor unsren Augen, rieffen zu GOtt, in tieffester Bedrengniß. Niemahls ist
ein Christliches Gebett vergeebens, auch, wann es gantz fruchtlooß zu seyn
scheinet. Der barmhertzige Vatter erhörete unser Winselen in der Einöde.
Wir faßten neuen Muth, u. schlugen eine andere Richtung ein, damit wir kein
Erlöösungs-Mittel verseumen mögten. Funden einige Wurtzeln, u. Kräutter,
trancken aus den gefehrlichen Bächen, nicht wissend, ob Crocodillen darin
seyen. In dem neherten wir uns wider der Küßte, aber an eim anderen Plazz.
Unterdessen wir also in der größten Gefahr schweebten, wurden wir am
Uffer eines kleynen Fischer-Schiffgens gewahr, Canoa genannt, worüber wir
uns zum höchsten erfreueten. In Kürtze entdekkten wir auch ein Fußpfad,
281
welchem wir mit sonderbahrem Eiffer folgten. Bald hernach, funden wir ei-
ne kleyne Fischers-Hütte, in dem dikken Gebüsche, darinn war ein alter in-
dianischer Einsideler, welcher sich in diser Wüßte vom Fischfang ernehrte.
Da derselbe uns sah, erstarrte er gleichsahm für Schrekken, dan wir waren
so durchauß erschöpfft, u. krafftloß, daß wir ähnlicher todten, alß lebendi-
gen Menschen schienen; über dem hatte er (nach allem Vermuhten) noch
niemals einige weisse Menschen gesehen. Einer von uns, Nahmens Karlsen,
redte ihn auff’s höfligste, in der malaischen Sprache an, erzehlte unser be-
klägliches Unglükk. Der Einsiedeler sezzte uns gedorrete Fische, u. Reiß vor, u. nöthigte uns zu essen. Wir bedanckten uns hertzlich, lobten Gott für solche ohn-verhoffte Gnaade. Wir fiengen an zu eßen, jedoch fürsichtig, in Betrachtung, daß unser Inngeweyde von Faßten, gleichsahm verdörret war. Bezeigten
uns recht dienstwillig, giengen, nach empfangener Belehrung, auff die Jagd, in eim kleynen Canoa, was uns herrlich glükkte. Bey disem guten Indianer bli-ben wir mehre Monathe, fiengen Fische, u. trokkneten sie auff denen Felsen,
pflantzten ein wenig Reiß, u. litten keine Noth. Wurden aber mit jedem Tage
trauriger, dan wir funden keine Hoffnung, von disem Orth hinweg, u. in andere Lender, oder in unser Vatterland, zu gelangen. Unsere Kleider fihlen gantz auß einander, unsere Haare u. Barth wurden immer lenger, Summa, man bette uns
eher vor Indianer, oder vor Wilde u. Wald-Teuffel, alß vor etliche Christliche Persohnen angesehen. Offt genug sprach keiner ein eintziges Wort, saßen viel mehr gantz still bey einander, weineten sanfft, u. wussten keinen Trohst.
An einem Abend, da ein starker Sturmwind, u. Reegen war, lagen wir alle in
der Hütte, konnten nicht schaffen, u. hatten ein kleynes Feuer angebrennt. Da stund einer auff, warff ein Stükk Holtz in die Gluth, u. sagte, jeder von uns soll seine Geschichte u. Erlebniß erzehlen, begann auch selber darmit, u. erzehlte alles, was er wusste. Darnach der Zweyte, darnach ich, u. habe in meinem
Leben niemahls so viele, u. schröcklige Historien gehöret, alß an diesem Abend.
Dann jeder von uns hatte vielerley erlidten, Schiff-Bruch, Gefahren, Hunger, Krankheyt, auch fremde Völker u. Stätte gesehen, in allen Lendern.
Als ich aber alle meine Sachen treulich hergezehlet hatte, fiehlen Beyde mit Worten auff mich her, u. rieffen, du Bösewicht, du Gottloßer Mensch, was
hast du getahn, hast zwey mahl die Ehe gebrochen. Ich schrye wider, war
trotzig, u. wolte nichts hören. Hernach ward ich aber sehr traurig, erkannte plözzlich meine Laßter, u. Verbrechen, kniete nider, weinte u. bettete heftig.
Da knieeten auch die Zweye nebenst mir auff die Erde, wir klaagten laut,
u. bahten inbrünnstig, daß wir wider von der Insul, u. unter Christen-Leute
in unser Vatterland kommen mögten, maaßen wir so viel Armuth, Kummer
u. Ungemachligkeyten erduldet hatten. Die Erkänntniß meiner Übeltahten
drükkte mein Hertz alß wie ein Gebürge, ich baht meine Freundte, verzeyet
mir meine Sünden, um welche Gott uns alle so hart bestraffet. Da tröhsteten
282
sie mich auff’s liebligste, verzyen mir beyde, u. halffen mir recht mit Betten und Seuffzen.
Hin u. wider erforschten wir öffters dise Gegend,
Weitere Kostenlose Bücher