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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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war.
    (1905)
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    Heumond
    Das Landhaus Erlenhof lag nicht weit vom Wald und Gebirge in der hohen
    Ebene.
    Vor dem Hause war ein großer Kiesplatz, in den die Landstraße mündete.
    Hier konnten die Wagen vorfahren, wenn Besuch kam. Sonst lag der vierecki-
    ge Platz immer leer und still und schien dadurch noch größer, als er war,
    namentlich bei gutem Sommerwetter, wenn das blendende Sonnenlicht und
    die heiße Zitterluft ihn so anfüllten, daß man nicht daran denken mochte, ihn zu überschreiten.
    Der Kiesplatz und die Straße trennten das Haus vom Garten.
    Garten
    sag-
    te man wenigstens, aber es war vielmehr ein mäßig großer Park, nicht sehr
    breit, aber tief, mit stattlichen Ulmen, Ahornen und Platanen, gewundenen
    Spazierwegen, einem jungen Tannendickicht und vielen Ruhebänken. Dazwi-
    schen lagen sonnige, lichte Rasenstücke, einige leer und einige mit Blumen-
    rondells oder Ziersträuchern geschmückt, und in dieser heiteren, warmen Ra-
    senfreiheit standen allein und auffallend zwei große einzelne Bäume.
    Der eine war eine Trauerweide. Um ihren Stamm lief eine schmale Latten-
    bank, und ringsum hingen die langen, seidig zarten, müden Zweige so tief
    und dicht herab, daß es innen ein Zelt oder Tempel war, wo trotz des ewigen
    Schattens und Dämmerlichtes eine stete, matte Wärme brütete.
    Der andere Baum, von der Weide durch eine niedrig umzäunte Wiese ge-
    trennt, war eine mächtige Blutbuche. Sie sah von weitem dunkelbraun und
    fast schwarz aus. Wenn man jedoch näher kam oder sich unter sie stellte und
    emporschaute, brannten alle Blätter der äußeren Zweige, vom Sonnenlicht
    durchdrungen, in einem warmen, leisen Purpurfeuer, das mit verhaltener und
    feierlich gedämpfter Glut wie in Kirchenfenstern leuchtete. Die alte Blutbuche war die berühmteste und merkwürdigste Schönheit des großen Gartens, und
    man konnte sie von überallher sehen. Sie stand allein und dunkel mitten in
    dem hellen Graslande, und sie war hoch genug, daß man, wo man auch vom
    Park aus nach ihr blickte, ihre runde, feste, schöngewölbte Krone mitten im
    blauen Luftraum stehen sah, und je heller und blendender die Bläue war, de-
    sto schwärzer und feierlicher ruhte der Baumwipfel in ihr. Er konnte je nach der Witterung und Tageszeit sehr verschieden aussehen. Oft sah man ihm an,
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    daß er wußte, wie schön er sei und daß er nicht ohne Grund allein und stolz
    weit von den anderen Bäumen stehe. Er brüstete sich und blickte kühl über
    alles hinweg in den Himmel. Oft auch sah er aber aus, als wisse er wohl, daß er der einzige seiner Art im Garten sei und keine Brüder habe. Dann schaute
    er zu den übrigen, entfernten Bäumen hinüber, suchte und hatte Sehnsucht.
    Morgens war er am schönsten, und auch abends, bis die Sonne rot wurde,
    aber dann war er plötzlich gleichsam erloschen, und es schien an seinem Orte eine Stunde früher Nacht zu werden als sonst überall. Das eigentümlichste
    und düsterste Aussehen hatte er jedoch an Regentagen. Während die anderen
    Bäume atmeten und sich reckten und freudig mit hellerem Grün erprangten,
    stand er wie tot in seiner Einsamkeit, vom Wipfel bis zum Boden schwarz
    anzusehen. Ohne daß er zitterte, konnte man doch sehen, daß er fror und daß
    er mit Unbehagen und Scham so allein und preisgegeben stand.
    Früher war der regelmäßig angelegte Lustpark ein strenges Kunstwerk ge-
    wesen. Als dann aber Zeiten kamen, in welchen den Menschen ihr mühseliges
    Warten und Pflegen und Beschneiden verleidet war und niemand mehr nach
    den mit Mühe hergepflanzten Anlagen fragte, waren die Bäume auf sich selber
    angewiesen. Sie hatten Freundschaft untereinander geschlossen, sie hatten ihre kunstmäßige, isolierte Rolle vergessen, sie hatten sich in der Not ihrer alten Waldheimat erinnert, sich aneinandergelehnt, mit den Armen umschlungen
    und gestützt. Sie hatten die schnurgeraden Wege mit dickem Laub verborgen
    und mit ausgreifenden Wurzeln an sich gezogen und in nährenden Waldboden
    verwandelt, ihre Wipfel ineinander verschränkt und festgewachsen, und sie sahen in ihrem Schutze ein eifrig aufstrebendes Baumvolk aufwachsen, das mit
    glatteren Stämmen und lichteren Laubfarben die Leere füllte, den brachen Bo-
    den eroberte und durch Schatten und Blätterfall die Erde schwarz, weich und
    fett machte, so daß nun auch die Moose und Gräser und kleinen Gesträuche
    ein leichtes Fortkommen hatten.
    Als nun später von neuem Menschen herkamen und den einstigen Garten

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