Die Erzaehlungen 1900-1906
und sie hoffte, es ertragen zu können. Aber sie hörte immer wieder Ludwigs Frage:
Rede, fehlt dir was?
und dachte daran, daß sie ihm
mit einer Lüge hatte antworten müssen, zum erstenmal mit einer Lüge.
Und nun, schien es ihr, hatte sie die Heimat und ihre herrliche Jugendfreiheit und alle leidlose, lichte Fröhlichkeit des Paradieses erst ganz verloren.
(1906)
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Walter Kömpff
Über den alten Hugo Kömpff ist wenig zu sagen, als daß er in allem ein ech-
ter Gerbersauer von der guten Sorte war. Das alte, feste und große Haus am
Marktplatz mit dem niedrigen und finsteren Kaufladen, der aber für eine Gold-grube galt, hatte er von Vater und Großvater übernommen und führte es im
alten Sinne fort. Nur darin war er einen eigenen Weg gegangen, daß er seine
Braut von auswärts geholt hatte. Sie hieß Kornelie und war eine Pfarrerstochter, eine hübsche und ernste Dame ohne das geringste bare Vermögen. Das
Erstaunen und Reden darüber dauerte seine Weile, und wenn man die Frau
auch später noch ein wenig seltsam fand, gewöhnte man sich doch zur Not
an sie. Kömpff lebte in einer sehr stillen Ehe und bei guten Geschäftszeiten unauffällig nach der väterlichen Art dahin, war gutmütig und wohlangesehen,
dabei ein vortrefflicher Kaufmann, so daß es ihm an nichts fehlte, was hierorts zum Glück und Wohlsein gehört. Zur rechten Zeit stellte sich ein Söhnlein
ein und wurde Walter getauft; er hatte das Gesicht und den Gliederbau der
Kömpffe, aber keine graublauen, sondern von der Mutter her, braune Augen.
Nun war ein Kömpff mit braunen Augen freilich noch nie gesehen worden,
aber genau betrachtet schien das dem Vater kein Unglück, und der Bub ließ
sich auch nicht an wie ein aus der Art Geschlagener. Es lief alles seinen leisen, gesunden Gang, das Geschäft ging vortrefflich, die Frau war zwar immer noch
ein wenig anders, als man gewohnt war, aber das war kein Schade, und der
Kleine wuchs und gedieh und kam in die Schule, wo er zu den Besten gehörte.
Nun fehlte dem Kaufmann noch, daß er in den Gemeinderat kam, aber auch
das konnte nimmer lang auf sich warten lassen, und dann wäre seine Höhe
erreicht und alles wie beim Vater und Großvater gewesen.
Es kam aber nicht dazu. Ganz wider die Kömpffsche Tradition legte sich
der Hausherr schon mit vierundvierzig Jahren zum Sterben nieder. Es nahm
ihn langsam genug hinweg, daß er alles Notwendige noch in Ruhe bestimmen
und ordnen konnte. Und so saß denn eines Tages die hübsche dunkle Frau
an seinem Bett, und sie besprachen dies und jenes, was zu geschehen habe
und was die Zukunft etwa bringen könnte. Vor allem war natürlich von dem
Buben Walter die Rede, und in diesem Punkte waren sie, was sie beide nicht
überraschte, keineswegs derselben Gesinnung und gerieten darüber in einen
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stillen, doch zähen Kampf. Freilich, wenn jemand an der Stubentüre gehorcht
hätte, der hätte nichts von einem Streit gemerkt.
Die Frau hatte nämlich vom ersten Tage der Ehe an darauf gehalten, daß
auch an unguten Tagen Höflichkeit und sanfte Rede herrsche. Mehr als einmal
war der Mann, wenn er bei irgendwelchem Vorschlag oder Entschluß ihren
stillen, aber festen Widerstand spürte, in Zorn geraten. Aber dann verstand
sie ihn beim ersten scharfen Wort auf eine Art anzusehen, daß er schnell einzog und seinen Groll wenn nicht abtat, so doch in den Laden oder auf die Gasse
trug und die Frau damit verschonte, deren Willen dann meistens ohne weitere
Worte bestehen blieb und erfüllt wurde. So ging auch jetzt, da er schon nah am Tode war und seinem letzten und stärksten Wunsch ihr festes Andersmeinen
gegenüberstand, das Gespräch in Maß und Zucht seine Bahn. Doch sah das
Gesicht des Kranken so aus, als wäre es mühsam gebändigt und könne von
Augenblick zu Augenblick die Haltung verlieren und Zorn oder Verzweiflung
zeigen.
Ich bin an mancherlei gewöhnt, Kornelie , sagte er,
und du hast ja ge-
wiß auch manchmal gegen mich recht gehabt, aber du siehst doch, daß es
sich diesmal um eine andre Sache handelt. Was ich dir sage, ist mein fester
Wunsch und Wille, der seit Jahren feststeht, und ich muß ihn jetzt deutlich
und bestimmt aussprechen und darauf bestehen. Du weißt, daß es sich hier
nicht um eine Laune handelt und daß ich den Tod vor Augen habe. Wovon
ich sprach, das ist ein Stück von meinem Testament, und es wäre besser, du
würdest es in Güte hinnehmen.
Es hilft nichts , erwiderte sie,
soviel drüber
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