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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zu reden. Du hast mich um
    etwas gebeten, was ich nicht gewähren kann. Das tut mir leid, aber zu ändern ist nichts daran.
    Kornelie, es ist die letzte Bitte eines Sterbenden. Denkst du daran nicht
    auch?
    Ja, ich denke schon. Aber ich denke noch mehr daran, daß ich über das
    ganze Leben des Buben entscheiden soll, und das darf ich so wenig, wie du es darfst.
    Warum nicht? Es ist etwas, was jeden Tag vorkommt. Wenn ich gesund
    geblieben wäre, hätte ich aus Walter doch auch gemacht, was mir recht ge-
    schienen hätte. Jetzt will ich wenigstens dafür sorgen, daß er auch ohne mich Weg und Ziel vor sich hat und zu seinem Besten kommt.
    Du vergißt nur, daß er uns beiden gehört. Wenn du gesund geblieben wärst,
    hätten wir beide ihn angeleitet, und wir hätten es abgewartet, was sich als das Beste für ihn gezeigt hätte.
    Der kranke Herr verzog den Mund und schwieg. Er schloß die Augen und
    besann sich auf Wege, doch noch in Güte zum Ziel zu kommen. Allein er fand
    keine, und da er Schmerzen hatte und nicht sicher sein konnte, ob er morgen
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    noch das Bewußtsein haben werde, entschloß er sich zum letzten.
    Sei so gut und bring ihn her , sagte er ruhig.
    Den Walter?
    Ja, aber sogleich.
    Frau Kornelie ging langsam bis an die Tür. Dann kehrte sie um.
    Tu es
    lieber nicht!
    sagte sie bittend.
    Was denn?
    Das, was du tun willst, Hugo. Es ist gewiß nicht das Rechte.
    Er hatte die Augen wieder zugemacht und sagte nur noch müde:
    Bring
    ihn her!
    Da ging sie hinaus und in die große, helle Vorderstube hinüber, wo Walter
    über seinen Schulaufgaben saß. Er war zwischen zwölf und dreizehn, ein zarter und gutwilliger Knabe. Im Augenblick war er freilich verscheucht und aus
    dem Gleichgewicht, denn man hatte ihm nicht verheimlicht, daß es mit dem
    Vater zu Ende gehe. So folgte er der Mutter verstört und mit einem inneren
    Widerstreben kämpfend in die Krankenstube, wo der Vater ihn einlud, neben
    ihm auf dem Bettrand zu sitzen.
    Der kranke Mann streichelte die warme, kleine Hand des Knaben und sah
    ihn gütig an.
    Ich muß etwas Wichtiges mit dir sprechen, Walter. Du bist ja schon groß
    genug, also hör gut zu und versteh mich recht. In der Stube da ist mein Vater und mein Großvater gestorben, im gleichen Bett, aber sie sind viel älter geworden als ich, und jeder hat schon einen erwachsenen Sohn gehabt, dem er das
    Haus und den Laden und alles hat ruhig übergeben können. Das ist nämlich
    eine wichtige Sache, mußt du wissen. Stell dir vor, daß dein Urgroßvater und dann der Großvater und dann dein Vater jeder viele Jahre lang hier geschafft hat und Sorgen gehabt hat, damit das Geschäft auch in gutem Stand an den
    Sohn komme. Und jetzt soll ich sterben und weiß nicht einmal, was aus allem
    werden und wer nach mir der Herr im Hause sein soll. Überleg dir das einmal.
    Was meinst du dazu?
    Der Junge blickte verwirrt und traurig vor sich nieder; er konnte nichts
    sagen und konnte auch nicht nachdenken, der ganze Ernst und die feierliche
    Befangenheit dieser sonderbaren Stunde in dem dämmernden Zimmer umgab
    ihn wie eine schwere, dicke Luft. Er schluckte, weil ihm das Weinen nahe war, und blieb in Trauer und Verlegenheit still.
    Du verstehst mich schon , fuhr der Vater fort und streichelte wieder seine
    Hand.
    Mir wär es sehr lieb, wenn ich nun ganz gewiß wissen könnte, daß du,
    wenn du einmal groß genug bist, unser altes Geschäft weiterführst. Wenn du
    mir also versprechen würdest, daß du Kaufmann werden und später da drunten
    alles übernehmen willst, dann wäre mir eine große Sorge abgenommen, und
    ich könnte viel leichter und froher sterben. Die Mutter meint –
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    Ja, Walter , fiel die Frau Kornelie ein,
    du hast gehört, was der Vater
    gesagt hat, nicht wahr? Es kommt jetzt ganz auf dich an, was du sagen willst.
    Du mußt es dir nur gut überlegen. Wenn du denkst, es wäre vielleicht bes-
    ser, daß du kein Kaufmann wirst, so sag es nur ruhig; es will dich niemand
    zwingen.
    Eine kleine Weile schwiegen alle drei.
    Wenn du willst, kannst du hinübergehen, und es noch bedenken, dann ruf
    ich dich nachher , sagte die Mutter. Der Vater heftete die Blicke fest und
    fragend auf Walter, der Knabe war aufgestanden und wußte nichts zu sagen.
    Erfühlte, daß die Mutter nicht dasselbe wolle wie der Vater, dessen Bitte ihm nicht gar so groß und wichtig schien. Eben wollte er sich abwenden, um hinauszugehen, da griff der Leidende noch einmal nach seiner Hand, konnte sie aber nicht erreichen.

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