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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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nirgends, es gibt keinen.
    Herr, Herr, sagen Sie keine solche Sachen! Das darf man nicht, wissen Sie.
    Das ist Todsünde.
    Laß mich reden. – Nein, still. Oder bist du dein Leben lang ihm nachgelau-
    fen? Hast du hundert und hundert Nächte in der Bibel gelesen? Hast du Gott
    tausendmal auf den Knien gebeten, daß er dich höre, daß er dein Opfer anneh-
    me und dir ein klein wenig Licht und Frieden dafür gebe? Hast du das? Und
    hast du deine Freunde verloren um Gott näher zu kommen, und deinen Beruf
    und deine Ehre hingeworfen, um Gott zu sehen? – Ich habe das getan, alles
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    das und viel mehr, und wenn Gott lebendig wäre und hätte auch nur so viel
    Herz und Gerechtigkeit wie der alte Beckeler, so hätte er mich angeblickt.
    Er hat Sie prüfen wollen.
    Das hat er getan, das hat er. Und dann hätte er sehen müssen, daß ich
    nichts wollte als ihn. Aber er hat nichts gesehen. Nicht er hat mich geprüft, sondern ich ihn, und ich habe gefunden, daß er ein Märlein ist.
    Von diesem Thema kam Walter Kömpff nicht mehr los. Erfand beinahe
    einen Trost darin, daß er nun eine Erklärung für sein verunglücktes Leben
    hatte. Und doch war er seiner neuen Erkenntnis keineswegs sicher. Sooft er
    Gott leugnete, empfand er ebensoviel Hoffnung wie Furcht bei dem Gedanken,
    der Geleugnete könnte gerade jetzt ins Zimmer treten und seine Allgegenwart
    beweisen. Und manchmal lästerte er sogar, nur um vielleicht Gott antworten
    zu hören, wie ein Kind vor dem Hoftor Wauwau ruft, um zu erfahren, ob
    drinnen ein Hund ist oder nicht.
    Das war die letzte Entwicklung in seinem Leben. Sein Gott war ihm zum
    Götzen geworden, den er reizte und dem er fluchte, um ihn zum Reden zu
    zwingen. Damit war der Sinn seines Daseins verloren, und in seiner kranken
    Seele trieben zwar noch schillernde Blasen und Traumgebilde, aber keine le-
    bendigen Keime mehr. Sein Licht war ausgebrannt, und es erlosch schnell und
    traurig.
    Eines Nachts hörte ihn die Holderlies noch spät reden und hin und wider
    gehen, ehe es in seiner Schlafstube ruhig wurde. Am Morgen gab er auf kein
    Klopfen Antwort. Und als die Magd endlich leise die Tür aufmachte und auf
    den Zehen in sein Zimmer schlich, schrie sie plötzlich auf und rannte verstört davon, denn sie hatte ihren Herrn an einem Kofferriemen erhängt aufgefunden.
    Eine Zeitlang machte sein Ende die Leute noch viel reden. Aber wenige emp-
    fanden etwas von dem, was sein Schicksal gewesen war. Und wenige dachten
    daran, wie nahe wir alle bei dem Dunkel wohnen, in dessen Schatten Walter
    Kömpff sich verirrt hatte.
    (1906)
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    Casanovas Bekehrung
    1
    In Stuttgart, wohin der Weltruf der luxuriösen Hofhaltung Karl Eugens ihn
    gezogen hatte, war es dem Glücksritter Jakob Casanova nicht gut ergangen.
    Zwar hatte er, wie in jeder Stadt der Welt, sogleich eine ganze Reihe von alten Bekannten wieder getroffen, darunter die Venetianerin Gardella, die damalige Favoritin des Herzogs, und ein paar Tage waren ihm in der Gesellschaft befreundeter Tänzer, Tänzerinnen, Musiker und Theaterdamen heiter und leicht
    vergangen. Beim österreichischen Gesandten, bei Hofe, sogar beim Herzog sel-
    ber schien ihm gute Aufnahme gesichert. Aber kaum warm geworden, ging der
    Leichtfuß eines Abends mit einigen Offizieren zu Weibern, es wurde gespielt
    und Ungarwein getrunken, und das Ende des Vergnügens war, daß Casanova
    viertausend Louisdor in Marken verspielt hatte, seine kostbaren Uhren und
    Ringe vermißte und in jämmerlicher Verfassung sich im Wagen nach Hause
    bringen lassen mußte. Daran hatte sich ein unglücklicher Prozeß geknüpft, es war so weit gekommen, daß der Waghals sich in Gefahr sah, unter Verlust
    seiner gesamten Habe als Zwangssoldat in des Herzogs Regimenter gesteckt
    zu werden. Da hatte er es an der Zeit gefunden, sich dünn zu machen. Er,
    den seine Flucht aus den venetianischen Bleikammern zu einer Berühmtheit
    gemacht hatte, war auch seiner Stuttgarter Haft schlau entronnen, hatte sogar seine Koffer gerettet und sich über Tübingen nach Fürstenberg in Sicherheit
    gebracht.
    Dort rastete er nun im Gasthaus. Seine Gemütsruhe hatte er schon un-
    terwegs wieder gefunden; immerhin hatte ihn aber dies Mißgeschick stark
    ernüchtert. Er sah sich an Geld und Reputation geschädigt, in seinem blinden Vertrauen zur Glücksgöttin enttäuscht und ohne Reiseplan und Vorbereitungen über Nacht auf die Straße gesetzt.
    Dennoch machte der bewegliche Mann durchaus nicht den Eindruck eines
    vom

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