Die Erzaehlungen 1900-1906
Ältere.
Wirklich? Dann wechseln wir ab.
Und zur Jüngeren:
Also morgen nach
dem Frühstück, nicht wahr?
Nachmittags schrieb er noch mehrere Briefe, namentlich an die Tänzerin
Binetti in Stuttgart, die seiner Flucht assistiert hatte und die er nun bat, sich um seinen zurückgebliebenen Diener zu bekümmern. Dieser Diener hieß Leduc,
galt für einen Spanier und war ein Taugenichts, aber von großer Treue, und
Casanova hing mehr an ihm, als man bei seiner Leichtfertigkeit für möglich
gehalten hätte.
Einen weiteren Brief schrieb er an seinen holländischen Bankier und einen
an eine ehemalige Geliebte in London. Dann fing er an zu überlegen, was
weiter zu unternehmen sei. Zunächst mußte er die drei Offiziere erwarten,
sowie Nachrichten von seinem Diener. Beim Gedanken an die bevorstehenden
Pistolenduelle wurde er ernst und beschloß, morgen sein Testament nochmals
zu revidieren. Wenn alles gut abliefe, gedachte er auf Umwegen nach Wien zu
gehen, wohin er manche Empfehlungen hatte.
Nach einem Spaziergang nahm er seine Abendmahlzeit ein, dann blieb er
lesend in seinem Zimmer wach, da er um elf Uhr den Besuch der älteren
Wirtstochter erwartete.
Ein warmer Föhn blies um das Haus und führte kurze Regenschauer mit. Ca-
sanova brachte die beiden folgenden Tage ähnlich zu wie den vergangenen, nur 406
daß jetzt auch das zweite Mädchen ihm öfters Gesellschaft leistete. So hatte er neben Lektüre und Korrespondenz genug damit zu tun, der Liebe froh zu
werden und beständig drohende Überraschungs- und Eifersuchtsszenen zwi-
schen den beiden Blonden umsichtig zu verhüten. Er verfügte weise abwägend
über die Stunden des Tages und der Nacht, vergaß auch sein Testament nicht
und hielt seine schönen Pistolen mit allem Zubehör bereit.
Allein die drei geforderten Offiziere kamen nicht. Sie kamen nicht und schrieben nicht, am dritten Wartetag so wenig wie am zweiten. Der Abenteurer, bei
dem der erste Zorn längst abgekühlt war, hatte im Grunde nicht viel dage-
gen. Weniger ruhig war er über das Ausbleiben Leducs, seines Dieners. Er
beschloß, noch einen Tag zu warten. Mittlerweile entschädigten ihn die ver-
liebten Mädchen für seinen Unterricht in der ars amandi dadurch, daß sie ihm, dem endlos Gelehrigen, ein wenig Deutsch beibrachten.
Am vierten Tage drohte Casanovas Geduld ein Ende zu nehmen. Da kam,
noch ziemlich früh am Vormittag, Leduc auf keuchendem Pferde daherge-
sprengt, von den kotigen Vorfrühlingswegen über und über bespritzt. Froh
und gerührt hieß ihn sein Herr willkommen und Leduc begann, noch ehe er
über Brot, Schinken und Wein herfiel, eilig zu berichten.
Vor allem, Herr Ritter , begann er,
bestellen Sie Pferde und lassen Sie
uns noch heute die Schweizer Grenze erreichen. Zwar werden keine Offiziere
kommen, um sich mit Ihnen zu schlagen, aber ich weiß für sicher, daß Sie
hier in Bälde von Spionen, Häschern und bezahlten Mördern würden belästigt
werden, wenn Sie dableiben. Der Herzog selber soll empört über Sie sein und
Ihnen seinen Schutz versagen. Also eilen Sie!
Casanova überlegte nicht lange. In Aufregung geriet er nicht, das Unheil
war ihm zu anderen Zeiten schon weit näher auf den Fersen gewesen. Doch
gab er seinem Spanier recht und bestellte Pferde für Schaffhausen.
Zum Abschiednehmen blieb ihm wenig Zeit. Er bezahlte seine Zeche, gab
der älteren Schwester einen Schildpattkamm zum Andenken und der jüngeren
das heilige Versprechen, in möglichster Bälde wiederzukommen, packte seine
Reisekoffer und saß, kaum drei Stunden nach dem Eintritt seines Leduc, schon mit diesem im Postwagen. Tücher wurden geschwenkt und Abschiedsworte
gerufen, dann bog der wohlbespannte Eilwagen aus dem Hof auf die Straße
und rollte schnell auf der nassen Landstraße davon.
II
Angenehm war es nicht, so Hals über Kopf ohne Vorbereitungen in ein wild-
fremdes Land entfliehen zu müssen. Auch mußte Leduc dem Betrübten mit-
teilen, daß sein schöner, vor wenigen Monaten gekaufter Reisewagen in den
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Händen der Stuttgarter geblieben sei. Dennoch kam er gegen Schaffhausen hin
wieder in gute Laune, und da die Landesgrenze überschritten und der Rhein
erreicht war, nahm er ohne Ungeduld die Nachricht entgegen, daß zur Zeit in
der Schweiz die Einrichtung der Extraposten noch nicht bestehe.
Es wurden also Mietpferde zur Weiterreise nach Zürich bestellt, und bis
diese bereit waren, konnte man in aller Ruhe eine gute Mahlzeit
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