Die Erzaehlungen 1900-1906
konnte seinen Rat nicht annehmen.
In seiner Muße, an die er nicht gewöhnt war und die er nur schwer ertrug,
machte der Exkaufmann zuweilen melancholische Gänge durch die Stadt. Da-
bei war es ihm jedesmal wunderlich und bedrückend, zu sehen, wie Handwerker
und Kaufleute, Arbeiter und Dienstboten ihren Geschäften nachgingen, wie
jeder seinen Platz und seine Geltung und jeder sein Ziel hatte, während er
allein ziellos und unberechtigt umherging.
Der Arzt, den er wegen Schlafmangels um Rat fragte, fand seine Untätigkeit
verhängnisvoll. Er riet ihm, sich ein Stückchen Land vor der Stadt draußen zu kaufen und dort Gartenarbeit zu tun. Der Vorschlag gefiel ihm, und er erwarb an der Leimengrube ein kleines Gut, schaffte sich Geräte an und begann eifrig zu graben und zu hacken. Treulich stach er seinen Spaten in die Erde und
fühlte, während er sich in Schweiß und Ermüdung arbeitete, seinen verwirrten Kopf leichter werden. Aber bei schlechtem Wetter und an den langen Abenden saß er wieder grübelnd daheim, las in der Bibel und gab sich erfolglosen Gedanken über die unbegreiflich eingerichtete Welt und über sein elendes Leben hin. Daß er mit der Aufgabe seiner Geschäfte Gott nicht nähergekommen
sei, spürte er wohl, und in verzweifelten Stunden kam es ihm vor, als sei Gott unerreichbar fern und sehe auf sein törichtes Gebaren mit Strenge und Spott
herab.
Bei seiner Gartenarbeit fand er meistens einen zuschauenden Gesellschafter.
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Das war Alois Beckeler. Der alte Taugenichts hatte seine Freude daran, wie ein so reicher Mann sich plagte und abschaffte, während er, der Bettler, zuschaute und nichts tat. Zwischenein, wenn Kömpff ausruhte, hatten sie Diskurs über
alle möglichen Dinge miteinander. Dabei spielte Beckeler je nach Umständen
bald den Großartigen, bald war er kriechend höflich.
Wollt Ihr nicht mithelfen?
fragte Kömpff etwa.
Nein, Herr, lieber nicht. Sehen Sie, ich vertrage das nicht gut. Es macht
einen dummen Kopf
Mir nicht, Beckeler.
Freilich, Ihnen nicht. Und warum? Weil Sie zu Ihrem Vergnügen arbeiten.
Das ist Herrengeschäft und tut nicht weh. Außerdem sind Sie noch in guten
Jahren, und ich bin ein Siebziger. Da hat man seine Ruhe wohl verdient.
Aber, neulich habt Ihr gesagt, Ihr wäret vierundsechzig, nicht siebzig
Hab ich vierundsechzig gesagt? Ja, das war im Dusel gesprochen. Wenn
ich ordentlich getrunken habe, komm ich mir immer viel jünger vor.
Also seid Ihr wirklich siebzig?
Wenn ich’s nicht bin, so kann wenig daran fehlen. Nachgezählt hab ich
nicht.
Daß Ihr auch das Trinken nicht lassen könnt! Liegt’s Euch denn nicht auf
dem Gewissen?
Nein. Was das Gewissen anlangt, das ist bei mir gesund und mag was aus-
halten. Wenn nur sonst nichts fehlt, möcht ich leicht nochmal so alt werden.
Es gab auch Tage, an denen Kömpff finster und ungesprächig war. Der
Göckeler hatte dafür eine feine Witterung und merkte schon beim Heran-
kommen, wie es mit dem närrischen Lustgärtner stehe. Dann blieb er, ohne
hereinzutreten, am Zaun stehen und wartete etwa eine halbe Stunde, eine Art
schweigende Anstandsvisite. Er lehnte stillvergnügt am Gartenzaun, sprach
keinen Ton und betrachtete sich seinen sonderbaren Gönner, der seufzend
hackte, grub, Wasser schleppte oder junge Bäume pflanzte. Und schweigend
ging er wieder, spuckte aus, steckte die Hände in die Hosensäcke und grinste und zwinkerte lustig vor sich hin.
Schwere Zeiten hatte jetzt die Holderlies. Sie war allein in dem unbehaglich gewordenen Hause geblieben, besorgte die Stuben, wusch und kochte. Anfangs
hatte sie dem neuen Wesen ihres Herrn böse Gesichter und grobe Worte ent-
gegengesetzt. Dann war sie davon abgekommen und hatte beschlossen, den
übel Beratenen eine Weile machen und laufen zu lassen, bis er müde wäre und
wieder auf sie hören würde. So war es ein paar Wochen gegangen.
Am meisten ärgerte sie sein kameradschaftlicher Umgang mit dem Göckeler,
dem sie die feinen Zigarren von damals nicht vergessen hatte. Aber gegen den Herbst hin, als wochenlang Regenwetter war und Kömpff nicht in den Garten
konnte, kam ihre Stunde. Ihr Herr war trübsinniger als je.
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Da kam sie eines Abends in die Stube, hatte ihren Flickkorb mit und setz-
te sich unten an den Tisch, an dem der Hausherr beim Lampenlicht seine
Monatsrechnung studierte.
Was willst, Lies?
fragte er erstaunt.
Dasitzen will ich und flicken, jetzt wo man wieder die Lampe braucht.
Du darfst
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