Die Erzaehlungen 1900-1906
Schicksal Geschlagenen. Im Gasthof ward er seinem Anzug und Auf-
treten entsprechend als ein Reisender erster Klasse bewirtet. Er trug eine
mit Steinen geschmückte goldene Uhr, schnupfte bald aus einer goldenen
Dose, bald aus einer silbernen, stak in überaus feiner Wäsche, zartseidenen
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Strümpfen, holländischen Spitzen, und der Wert seiner Kleider, Steine, Spitzen und Schmucksachen war erst kürzlich von einem Sachverständigen in Stuttgart auf hunderttausend Franken geschätzt worden. Deutsch sprach er nicht,
dafür ein tadelfreies Pariser Französisch, und sein Benehmen war das eines
reichen, verwöhnten, doch wohlwollenden Vergnügungsreisenden. Er machte
Ansprüche, sparte aber auch weder an der Zeche noch an Trinkgeldern.
Nach einer überhetzten Reise war er abends angekommen. Während er sich
wusch und puderte, wurde ihm auf seine Bestellung ein vorzügliches Abendes-
sen bereitet, das ihm nebst einer Flasche Rheinwein den Rest des Tages an-
genehm und rasch verbringen half. Darauf ging er zeitig zur Ruhe und schlief ausgezeichnet bis zum Morgen. Erst jetzt ging er daran, Ordnung in seine
Angelegenheiten zu bringen.
Nach dem Frühstück, das er während des Ankleidens zu sich nahm, klin-
gelte er, um Tinte, Schreibzeug und Papier zu bestellen. In Bälde erschien
ein hübsches Mädchen mit guten Manieren und stellte die verlangten Sachen
auf den Tisch. Casanova bedankte sich artig, zuerst in italienischer Sprache, dann auf französisch, und es zeigte sich, daß die hübsche Blonde diese zweite Sprache verstand.
Sie können kein Zimmermädchen sein , sagte er ernst, doch freundlich.
Gewiß sind Sie die Tochter des Hoteliers.
Sie haben es erraten, mein Herr.
Nicht wahr? Ich beneide Ihren Vater, schönes Fräulein. Er ist ein glück-
licher Mann.
Warum denn, meinen Sie?
Ohne Zweifel. Er kann jeden Morgen und Abend der schönsten, liebens-
würdigsten Tochter einen Kuß geben.
Ach, geehrter Herr! Das tut er ja gar nicht.
Dann tut er Unrecht und ist zu bedauern. Ich an seiner Stelle wüßte ein
solches Glück zu schätzen.
Sie wollen mich in Verlegenheit bringen.
Aber Kind! Seh’ ich aus wie ein Don Juan? Ich könnte Ihr Vater sein, den
Jahren nach.
Dabei ergriff er ihre Hand und fuhr fort:
Auf eine solche Stirne den Kuß
eines Vaters zu drücken, muß ein Glück voll Rührung sein.
Er küßte sie sanft auf die Stirn.
Gestatten Sie das einem Manne, der selbst Vater ist. Übrigens muß ich
Ihre Hand bewundern.
Meine Hand?
Ich habe Hände von Prinzessinnen geküßt, die sich neben den Ihren nicht
sehen lassen dürften. Bei meiner Ehre!
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Damit küßte er ihre Rechte. Er küßte sie zuerst leise und achtungsvoll auf
den Handrücken, dann drehte er sie um und küßte die Stelle des Pulses, darauf küßte er jeden Finger einzeln.
Das rot gewordene Mädchen lachte auf, zog sich mit einem halb spöttischen
Knicks zurück und verließ das Zimmer.
Casanova lächelte und setzte sich an den Tisch. Er nahm einen Briefbogen
und setzte mit leichter, eleganter Hand das Datum darauf:
Fürstenberg, 6.
April 1760.
Dann begann er nachzudenken. Er schob das Blatt beiseite, zog
ein kleines silbernes Toilettenmesserchen aus der Tasche des samtnen Gilets
und feilte eine Weile an seinen Fingernägeln.
Alsdann schrieb er rasch und mit wenigen Pausen einen seiner flotten Briefe.
Er galt jenen Stuttgarter Offizieren, die ihn so schwer in Not gebracht hat-
ten. Darin beschuldigte er sie, sie hätten ihm im Tokayer einen betäubenden
Trank beigebracht, um ihn dann im Spiel zu betrügen und von den Dirnen
seiner Wertsachen berauben zu lassen. Und er schloß mit einer schneidigen
Herausforderung. Sie möchten sich binnen drei Tagen in Fürstenberg einfin-
den, er erwarte sie in der angenehmen Hoffnung, sie alle drei im Duell zu
erschießen und dadurch seinen Ruhm in Europa zu verdoppeln.
Diesen Brief kopierte er in drei Exemplaren und adressierte sie einzeln nach Stuttgart. Während er dabei war, klopfte es an der Tür. Es war wieder die
hübsche Wirtstochter. Sie bat sehr um Entschuldigung, wenn sie störe, aber
sie habe vorher das Sandfaß mitzubringen vergessen. Ja, und da sei es nun,
und er möge entschuldigen.
Wie gut sich das trifft!
rief der Kavalier, der sich vom Sessel erhoben hat-
te.
Auch ich habe vorher etwas vergessen, was ich nun gutmachen möchte.
Wirklich? Und das wäre?
Es ist eine Beleidigung Ihrer Schönheit, daß ich es unterließ, Sie auch noch
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