Die Erzaehlungen 1900-1906
schon.
So, ich darf? Früher, wie die Frau selig noch da war, hab ich immer meinen
Platz hier gehabt, ungefragt.
Ja, ja.
Freilich, es ist ja seither manches anders worden. Mit den Fingern zeigen
die Leute auf einen.
Wieso, Lies?
Soll ich Ihnen was erzählen?
Ja, also.
Gut. Der Göckeler, wissen Sie, was der tut? Am Abend sitzt er in den
Wirtshäusern herum und verschwätzt Sie.
Mich? Wie denn?
Er macht Sie nach, wie Sie im Garten schaffen, und macht sich lustig
darüber und erzählt, was Sie allemal mit ihm für Gespräche führen.
Ist das auch wahr, Lies?
Ob’s wahr ist! Mit Lügen geh ich mich nicht ab, ich nicht. So macht’s der
Göckeler also, und dann gibt es Leute, die dabeisitzen und lachen und stacheln ihn an und zahlen ihm Bier dafür, daß er so von Ihnen redet.
Kömpff hatte aufmerksam und traurig zugehört. Dann hatte er die Lampe
von sich weggeschoben, so weit sein Arm reichte, und als die Lies nun auf-
schaute und auf eine Antwort wartete, sah sie mit wunderlichem Schrecken,
daß er die Augen voll Tränen hatte.
Sie wußte, daß ihr Herr krank war, aber diese widerstandslose Schwäche
hätte sie ihm nicht zugetraut. Sie sah nun auch plötzlich, wie gealtert und elend er aussah. Schweigend machte sie an ihrer Flickarbeit weiter und wagte nicht mehr aufzublicken, und er saß da, und die Tränen liefen ihm über die Wangen
und durch den dünnen Bart. Die Magd mußte selber schlucken, um Herr über
ihre Bewegung zu bleiben. Bisher hatte sie den Herrn für überarbeitet, für
launisch und kurios gehalten. Jetzt sah sie, daß er hilflos, seelenkrank und im Herzen wund war.
Die beiden sprachen an diesem Abend nicht weiter. Kömpff nahm nach einer
Weile seine Rechnung wieder vor, die Holderlies strickte und stopfte, schraubte ein paarmal am Lampendocht und ging zeitig mit leisem Gruß hinaus.
Seit sie wußte, daß er so elend und hilflos war, verschwand der eifersüchtige Groll aus ihrem Herzen. Sie war froh, ihn pflegen und sanft anfassen zu dürfen, 397
sie sah ihn auf einmal wieder wie ein Kind an, sorgte für ihn und nahm ihm
nichts mehr übel.
Als Walter bei schönem Wetter wieder einmal in seinem Garten herumbos-
selte, erschien mit freudigem Gruß Alois Beckeler. Er kam durch die Einfahrt herein, grüßte nochmals und stellte sich am Rand der Beete auf.
Grüß Gott , sagte Kömpff,
was wollt Ihr?
Nichts, nur einen Besuch machen. Man hat Sie lang nimmer draußen ge-
sehen.
Wollt Ihr sonst etwas von mir?
Nein. Ja, wie meinen Sie das? Ich bin doch sonst auch schon dagewesen.
Es ist aber nicht nötig, daß Ihr wiederkommt.
Ja, Herr Kömpff, warum denn aber?
Es ist besser, wir reden darüber nicht. Geht nur, Beckeler, und laßt mir
meine Ruhe.
Der Göckeler nahm eine beleidigte Miene an.
So, dann kann ich ja gehen, wenn ich nimmer gut genug bin. Das wird
wohl auch in der Bibel stehen, daß man so mit alten Freunden umgehen soll.
Kömpff war betrübt.
Nicht so, Beckeler!
sagte er freundlich.
Wir wollen im Guten voneinander, ’s ist immer besser. Nehmt das noch
mit, gelt.
Er gab ihm einen Taler, den jener verwundert nahm und einsteckte.
Also meinen Dank, und nichts für ungut! Ich bedank mich schön. Adieu,
denn, Herr Kömpff, adieu denn!
Damit ging er fort, vergnügter als je. Als er jedoch nach wenigen Tagen
wiederkam und diesmal entschieden verabschiedet wurde, ohne ein Geschenk
zu bekommen, ging er zornig weg und schimpfte draußen über den Zaun herein:
Sie großer Herr, Sie, wissen Sie, wo Sie hingehören? Nach Tübingen gehören
Sie, dort steht das Narrenhaus, damit Sie’s wissen.
Der Göckeler hatte nicht unrecht. Kömpff war in den Monaten seiner Verein-
samung immer weiter in die Sackgasse seiner selbstquälerischen Spekulationen hineingeraten und hatte sich in seiner Verlassenheit in fruchtlosem Nachdenken aufgerieben. Als nun mit dem Einbrechen des Winters seine einzige ge-
sunde Arbeit und Ablenkung, das Gartengeschäft, ein Ende hatte, kam er
vollends nicht mehr aus dem engen, trostlosen Kreislauf seiner kränkelnden
Gedanken heraus. Von jetzt an ging es schnell mit ihm bergab, wenn auch
seine Krankheit noch Sprünge machte und mit ihm spielte.
Zunächst brachte das Müßigsein und Alleinleben ihn darauf, daß er immer
wieder sein vergangenes Leben durchstöberte. Er verzehrte sich in Reue über
398
vermeintliche Sünden früherer Jahre. Dann wieder klagte er sich verzweifelnd an, seinem Vater nicht Wort gehalten zu haben. Oft
Weitere Kostenlose Bücher