Die Erzaehlungen 1900-1906
die Sachen so lange vollkommen
luftdicht abschließe.
Darum beneide ich Sie.
Bitte. Aber wollen Sie gar nichts vom Lachs nehmen?
Wenn Sie ihn
mir eigens anbieten, gewiß.
Ist er doch eine Fastenspeise!
Der Gast lachte und nahm vom Lachs.
III
Nach Tisch empfahl sich der Kanzler, ein stiller Mann, und der Abt zeigte
seinem Gast das Kloster. Alles gefiel dem Venetianer sehr wohl. Er begriff, daß ruhebedürftige Menschen das Klosterleben erwählen und sich darin wohlfühlen
konnten. Und schon begann er zu überlegen, ob dies nicht auch für ihn am
Ende der beste Weg zum Frieden des Leibes und der Seele sei.
Einzig die Bibliothek befriedigte ihn wenig.
Ich sehe da , bemerkte er,
zwar Massen von Folianten, aber die neuesten
davon scheinen mir mindestens hundert Jahre alt zu sein, und lauter Bibeln,
Psalter, theologische Exegese, Dogmatik und Legendenbücher. Das alles sind
ja ohne Zweifel vortreffliche Werke –
Ich vermute es , lächelte der Prälat.
Aber Ihre Mönche werden doch auch andere Bücher haben, über Geschich-
te, Physik, schöne Künste, Reisen und dergleichen.
Wozu? Unsere Brüder sind fromme, einfache Leute. Sie tun ihre tägliche
Pflicht und sind zufrieden.
Das ist ein großes Wort. – Aber dort hängt ja, sehe ich eben, ein Bildnis
des Kurfürsten von Köln.
Der da im Bischofsornat, jawohl.
Sein Gesicht ist nicht ganz gut getroffen. Ich habe ein besseres Bild von
ihm. Sehen Sie!
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Er zog aus einer inneren Tasche eine schöne Dose, in deren Deckel ein Mi-
niaturporträt eingefügt war. Es stellte den Kurfürsten als Großmeister des
deutschen Ordens vor.
Das ist hübsch. Woher haben Sie das?
Vom Kurfürsten selbst.
Wahrhaftig?
Ich habe die Ehre, sein Freund zu sein.
Mit Wohlgefallen nahm er wahr, wie er zusehends in der Achtung des Abtes
stieg, und steckte die Dose wieder ein.
Ihre Mönche sind fromm und zufrieden, sagten Sie. Das möchte einem
beinahe Lust nach diesem Leben erwecken.
Es ist eben ein Leben im Dienst des Herrn.
Gewiß, und fern von den Stürmen der Welt.
So ist es.
Nachdenklich folgte er seinem Führer und bat ihn nach einer Weile, nun
seine Beichte anzuhören, damit er Absolution erhalten und morgen die Kom-
munion nehmen könne.
Der Herr führte ihn zu einem kleinen Pavillon, wo sie eintraten. Der Abt
setzte sich und Casanova wollte niederknien, doch gab jener das nicht zu.
Nehmen Sie einen Stuhl , sagte er freundlich,
und erzählen Sie mir von
Ihren Sünden.
Es wird lange dauern.
Bitte, beginnen Sie nur. Ich werde
aufmerksam sein.
Damit hatte der gute Mann nicht zuviel versprochen. Die
Beichte des Chevaliers nahm, obwohl er möglichst gedrängt und rasch erzählte, volle drei Stunden in Anspruch. Der hohe Geistliche schüttelte anfangs ein
paar Mal den Kopf oder seufzte, denn eine solche Kette von Sünden war ihm
doch noch niemals vorgekommen, und er hatte eine unglaubliche Mühe, die
einzelnen Frevel so in der Geschwindigkeit einzuschätzen, zu addieren und im Gedächtnis zu behalten. Bald genug gab er das völlig auf und horchte nur mit Erstaunen dem fließenden Vortrag des Italieners, der in zwangloser, flotter, fast künstlerischer Weise sein ganzes Leben erzählte. Manchmal lächelte der
Abt und manchmal lächelte auch der Beichtende, ohne jedoch innezuhalten.
Seine Erzählung führte in fremde Länder und Städte, durch Krieg und Seerei-
sen, durch Fürstenhöfe, Klöster, Spielhöllen, Gefängnis, durch Reichtum und
Not, sie sprang vom Rührenden zum Tollen, vom Harmlosen zum Skandalösen,
vorgetragen aber wurde sie nicht wie ein Roman und nicht wie eine Beichte,
sondern unbefangen, ja manchmal heiter-geistreich und stets mit der selbst-
verständlichen Sicherheit dessen, der Erlebtes erzählt und weder zu sparen
noch dick aufzutragen braucht.
Nie war der Abt und Reichsfürst besser unterhalten worden. Besondere Reue
konnte er im Ton des Beichtenden nicht wahrnehmen, doch hatte er selbst bald 414
vergessen, daß er als Beichtvater und nicht als Zuschauer eines aufregenden
Theaterstücks hier sitze.
Ich habe Sie nun lang genug belästigt , schloß Casanova endlich.
Man-
ches mag ich vergessen haben, doch kommt es ja wohl auf ein wenig mehr oder
minder nicht an. Sind Sie ermüdet, Hochwürden?
Durchaus nicht. Ich habe kein Wort verloren.
Und darf ich die Absolution erwarten?
Noch ganz benommen sprach der Abt die heiligen Worte aus,
durch welche Casanovas Sünden vergeben waren und die ihn des
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