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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ersten, phantastischen Erlebnissen in Konstantinopel und auf Korfu.
    Darüber eilte der Wagen weiter und rollte, als der Schläfer emporfuhr, über
    Steinpflaster und gleich darauf über eine Brücke, unter welcher ein schwarzer 409
    Strom rauschte und rötliche Lichter spiegelte. Man war in Zürich vor dem
    Gasthaus zum Schwert angekommen.
    Casanova war im Augenblicke munter. Er reckte sich und stieg aus, von
    einem höflichen Wirt empfangen.
    Also Zürich , sagte er vor sich hin. Und obwohl er gestern noch die Ab-
    sicht gehabt hatte, nach Wien zu reisen und nicht im mindesten wußte, was
    ungefähr er in Zürich treiben solle, blickte er fröhlich um sich, folgte dem Gastwirt ins Haus und suchte sich ein bequemes Zimmer mit Vorraum im
    ersten Stockwerk aus.
    Nach dem Abendessen kehrte er bald zu seinen früheren Betrachtungen
    zurück. Je geborgener und wohler er sich fühlte, desto bedenklicher kamen
    ihm nachträglich die Bedrängnisse vor, denen er soeben entronnen war. Sollte er sich freiwillig wieder in solche Gefahren begeben? Sollte er, nachdem das stürmische Meer ihn ohne sein Verdienst an einen friedlichen Strand geworfen hatte, sich ohne Not noch einmal den Wellen überlassen?
    Wenn er genau nachrechnete, betrug der Wert seines Besitzes an Geld, Kre-
    ditbriefen und fahrender Habe ungefähr hunderttausend Taler. Das genügte
    für einen Mann ohne Familie, sich für immer ein stilles und bequemes Leben
    zu sichern.
    Mit diesen Gedanken legte er sich zu Bett und erlebte in einem langen
    ungestörten Schlafe eine Reihe friedvoll glücklicher Träume. Er sah sich als Besitzer eines schönen Landsitzes, frei und heiter lebend, fern von Höfen,
    Gesellschaft und Intrigen, in immer neuen Bildern voll ländlicher Anmut und
    Frische.
    Diese Träume waren so schön und so gesättigt von reinem Glücksgefühl,
    daß Casanova das Erwachen am Morgen fast schmerzlich ernüchternd emp-
    fand. Doch beschloß er sofort, diesem letzten Wink seiner guten Glücksgöttin zu folgen und seine Träume wahr zu machen. Sei es nun, daß er sich in der
    hiesigen Gegend ankaufe, sei es, daß er nach Italien, Frankreich oder Hol-
    land zurückkehren würde, jedenfalls wollte er von heute an auf Abenteuer,
    Glücksjagd und äußeren Lebensglanz verzichten und sich so bald wie möglich
    ein ruhiges, sorglos unabhängiges Leben schaffen.
    Gleich nach dem Frühstück befahl er Leduc die Obhut über seine Zim-
    mer und verließ allein und zu Fuß das Hotel. Ein lang nicht mehr gefühltes
    Bedürfnis zog den Vielgereisten seitab auf das Land zu Wiesen und Wald. Bald hatte er die Stadt hinter sich und wanderte ohne Eile den See entlang. Milde, zärtliche Frühlingsluft wogte lau und schwellend über graugrünen Matten, auf denen erste gelbe Blümlein strahlend lachten und an deren Rande die Hecken
    voll rötlich warmer, strotzender Blattknospen standen. Am feuchtblauen Him-
    mel schwammen weich geballte, lichte Wolken hin, und in der Ferne stand über den mattgrauen und tannenblauen Vorbergen weiß und feierlich der zackige
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    Halbkreis der Alpen.
    Einzelne Ruderboote und Frachtkähne mit großem Dreiecksegel waren auf
    der nur schwach bewegten Seefläche unterwegs, und am Ufer führte ein gu-
    ter, reinlicher Weg durch helle, meist aus Holz gebaute Dörfer. Fuhrleute und Bauern begegneten dem Spaziergänger, und manche grüßten ihn freundlich.
    Das alles ging ihm lieblich ein und bestärkte seine tugendhaften und klu-
    gen Vorsätze. Am Ende einer stillen Dorfstraße schenkte er einem weinenden
    Kinde eine kleine Silbermünze, und in einem Wirtshaus, wo er nach beina-
    he dreistündigem Gehen Rast hielt und einen Imbiß nahm, ließ er den Wirt
    leutselig aus seiner Dose schnupfen.
    Casanova hatte keine Ahnung, in welcher Gegend er sich nun befinde, und
    mit dem Namen eines wildfremden Dorfes wäre ihm auch nicht gedient gewe-
    sen. Er fühlte sich wohl in der leise durchsonnten Luft. Von den Strapazen
    der letzten Zeit hatte er sich genügend ausgeruht, auch war sein ewig verliebtes Herz zur Zeit still und hatte Feiertag, so wußte er im Augenblick nichts Schöneres, als dieses sorglose Lustwandeln durch ein fremdes, schönes Land.
    Da er immer wieder Gruppen von Landleuten begegnete, hatte es mit dem
    Verirren keine Gefahr.
    Im Sicherheitsgefühl seiner neuesten Entschlüsse genoß er nun den Rückblick
    auf sein bewegtes Vagantenleben wie ein Schauspiel, das ihn rührte oder belu-stigte, ohne ihn doch in seiner jetzigen Gemütsruhe

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