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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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einnehmen.
    Dabei versäumte der weltgewandte Reisende nicht, sich in aller Eile eini-
    germaßen über Lebensart und Verhältnisse des fremden Landes zu unterrich-
    ten. Es gefiel ihm wohl, daß der Gastwirt hausväterlich an der Wirtstafel
    präsidierte und daß dessen Sohn, obwohl er den Rang eines Hauptmanns bei
    den Reichstruppen besaß, sich nicht schämte, aufwartend hinter seinem Stuhl
    zu stehen und ihm die Teller zu wechseln. Dem raschlebigen Weltbummler,
    der viel auf erste Eindrücke gab, wollte es scheinen, er sei in ein gutes Land gekommen, wo unverdorbene Menschen sich eines schlichten, doch behaglichen Lebens erfreuten. Auch fühlte er sich hier vor dem Zorn des Stuttgarter Tyrannen geborgen und witterte, nachdem er lange Zeit an Höfen verkehrt
    und in Fürstendiensten gestanden hatte, lüstern die Luft der Freiheit.
    Rechtzeitig fuhr der bestellte Wagen vor, die beiden stiegen ein und weiter
    ging es, einem leuchtend gelben Abendglanz entgegen, nach Zürich.
    Leduc sah seinen Herrn in der nachdenksamen Stimmung der Verdauungs-
    stunde im Polster lehnen, wartete längere Zeit, ob er etwa ein Gespräch be-
    liebe, und schlief dann ein. Casanova achtete nicht auf ihn.
    Er war, teils durch den Abschied von den Fürstenbergerinnen, teils durch
    das gute Essen und die neuen Eindrücke in Schaffhausen, wohlig gerührt und
    im Ausruhen von den vielen Erregungen dieser letzten Wochen fühlte er mit
    leiser Ermattung, daß er doch nicht mehr jung sei. Zwar hatte er noch nicht das Gefühl, daß der Stern seines glänzenden Zigeunerlebens sich zu neigen beginne.
    Doch gab er sich Betrachtungen hin, die den Heimatlosen stets früher befallen als andere Menschen, Betrachtungen über das unaufhaltsame Näherrücken des
    Alters und des Todes. Er hatte sein Leben ohne Vorbehalt der unbeständigen
    Glücksgöttin anvertraut, und sie hatte ihn bevorzugt und verwöhnt, sie hatte ihm mehr gegönnt als tausend Nebenbuhlern. Aber er wußte genau, daß Fortuna nur die Jugend liebt, und die Jugend war flüchtig und unwiederbringlich, er fühlte sich ihrer nicht mehr sicher und wußte nicht, ob sie ihn nicht vielleicht schon verlassen habe.
    Freilich, er war nicht mehr als fünfunddreißig Jahre alt. Aber er hatte
    vierfältig und zehnfältig gelebt. Er hatte nicht nur hundert Frauen geliebt, er war auch in Kerkern gelegen, hatte qualvolle Nächte durchwacht, Tage und
    Wochen im Reisewagen verlebt, die Angst des Gefährdeten und Verfolgten
    gekostet, dann wieder aufregende Geschäfte betrieben, erschöpfende Nächte
    mit heißen Augen an den Spieltischen aller Städte verbracht, Vermögen ge-
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    wonnen und verloren und zurückgewonnen. Er hatte Freunde und Feinde, die
    gleich ihm als kühne Heimatlose und Glücksjäger über die Erde irrten, in Not und Krankheit, Kerker und Schande geraten sehen. Wohl hatte er in fünfzig
    Städten dreier Länder Freunde und Frauen, die an ihm hingen, aber würden
    sie sich seiner erinnern wollen, wenn er je einmal krank, alt und bettelnd zu ihnen käme?
    Schläfst du, Leduc?
    Der Diener fuhr auf.
    Was beliebt?
    In einer Stunde sind wir in Zürich.
    Kann schon sein.
    Kennst du Zürich?
    Nicht besser als meinen Vater, und den hab’ ich nie gesehen. Es wird eine
    Stadt sein wie andere, jedoch vorwiegend blond, wie ich sagen hörte.
    Ich habe genug von den Blonden.
    Ei so. Seit Fürstenberg wohl? Die zwei haben Ihnen doch nicht weh ge-
    tan?
    Sie haben mich frisiert, Leduc.
    Frisiert?
    Frisiert. Und mir Deutsch beigebracht, sonst nichts.
    War das zu wenig?
    Keine Witze jetzt! – Ich werde alt, du.
    Heute noch?
    Sei vernünftig. Es wäre auch für dich allmählich Zeit, nicht?
    Zum Altwerden, nein. Zum Vernünftigwerden, ja, wenn es mit Ehren sein
    kann.
    Du bist ein Schwein, Leduc.
    Mit Verlaub, das stimmt nicht. Verwandte fressen einander nicht auf, und
    mir geht nichts über frischen Schinken. Der in Fürstenberg war übrigens zu
    stark gesalzen.
    Diese Art von Unterhaltung war nicht, was der Herr gewollt hatte. Doch
    schalt er nicht, dazu war er zu müde und in zu milder Stimmung. Er schwieg
    nur und winkte lächelnd ab. Er fühlte sich schläfrig und konnte seine Gedanken nimmer beisammen halten. Und während er in einen ganz leichten, halben
    Schlummer sank, glitt seine Erinnerung in die Zeiten der ersten Jugend zurück.
    Er träumte in lichten, verklärten Farben und Gefühlen von einer Griechin, die er einst als blutjunger Fant im Schiffe vor Ancona getroffen hatte, und von
    seinen

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